Auf der Straße.

[11] Gerade uns Deutschen macht man den Vorwurf, daß wir so geringen Wert auf den Eindruck legen, welchen der Vorübergehende von uns empfängt.

Jeder mache es sich zur festen Regel, seinen Anzug einer sorgfältigen Musterung zu unterwerfen, ehe er sich auf die Straße hinauswagt. Sauber und ordentlich vom Scheitel bis zur Sohle begebe er sich unter seine Mitmenschen und vergesse nicht, daß es unpassend ist, die Handschuhe erst auf dem Trottoir anzulegen oder gar hier noch Verbesserungen an der Kleidung vorzunehmen.

Beim Gehen befleißige man sich eines gemessenen, harmonischen Schreitens und hüte sich vor dem Laufschritte. Der Gang der Damen sei anmutig und leicht, derjenige der der Herren fest und sicher. Ersteren raten wir, die Augen unbefangen geradeaus zu richten. Herren dürfen sich schon größere Freiheiten erlauben, niemals aber die Vorübergehenden in unverschämter Weise anstarren oder gar die Damen mit dem Kneifer mustern. Jeder bewege sich ruhig und gelassen vorwärts und vermeide alles, wodurch er die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden erregen könnte.

Geschieht irgend etwas Seltsames auf der Straße, und es droht ein Auflauf, so ist es für jede Dame von Bildung und Lebensart geraten, sich so schnell als möglich zu entfernen. Stehenbleiben oder gar neugieriges Hinzutreten wäre ganz unpassend, und häufig genug erfolgt die Strafe für solch eine Mißachtung des guten Tones sofort in Gestalt von allerlei Unannehmlichkeiten. Sollte eine Dame unverschuldet in einen Tumult kommen und nicht imstande sein, durch eigene Umsicht und Geistesgegenwart den Rückzug anzutreten, so wende sie sich vertrauensvoll an einen der nächsten Herren mit der Bitte, sie sicher aus dem Gedränge oder vielleicht zu einem Wagen zu geleiten.

Für einen Herrn liegt die Sache in diesem Falle wesentlich anders. Ein Verweilen ist hier für ihn nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten; denn oft ist die Ursache des Auflaufes derart, daß seine Hilfe nötig und nützlich werden kann.

Im allgemeinen aber reden wir niemandem zum Umsehen oder Stehenbleiben zu, weil dieses wenig schicklich ist und stets einen kleinstädtischen, neugierigen Eindruck macht. Selbst an den Schaufenstern können wir den Damen nicht erlauben, für längere Zeit[11] Halt zu machen, sondern müssen darauf bestehen, daß sie die ausgelegten Sachen im Vorbeischreiten betrachten oder höchstens wenige Sekunden verweilen. Sich nach einem Vorübergehenden nochmals umzusehen, behufs recht eingehender Musterung, ist so unpassend wie möglich.

Öffentliche Aufzüge oder sonstige Sehenswürdigkeiten auf der Straße raten wir den Damen vom Fenster aus zu beobachten und sich nicht in das Volksgewühl zu mischen.

Gehen mehrere Personen zusammen aus, so wird es angezeigt sein, nicht die ganze Breite des Trottoirs einzunehmen, sondern höchstens zu dreien nebeneinander zu bleiben. Dabei gilt für gewöhnlich die Regel, daß der Herr links, die Dame rechts geht, doch erfährt dieselbe insofern eine Abänderung, als es schicklich ist, daß der Herr in jedem Falle die offene Seite einnimmt und der Dame den Platz an der geschützten Häuserreihe einräumt. Im allgemeinen biegt man rechts aus, doch überläßt auch hier der Herr den Damen, das junge Mädchen den älteren Herrschaften gern die Häuserreihe. Ist der Fußweg sehr schmal, so tritt ein Herr selbstverständlich beim Ausweichen auf den Fahrweg hinüber, es wäre sehr ungezogen, dieses den Damen zuzumuten.

Ungebildeten und rohen Menschen macht man ohne weiteres Platz. Wollte man sich mit ihnen auf eine Auseindersetzung einlassen, so würde man sicher den kürzeren ziehen und außerdem den guten Ton arg verletzen. Eine Dame hat besonders ängstlich darauf bedachtzunehmen, auf der Straße in keinen Wortwechsel mit den Passanten zu kommen, da sie der Gemeinheit gegenüber wehrlos ist

Treffen Bekannte sich, so grüßen sie einander. Ein Herr nimmt zu diesem Zwecke den Hut ab und hält ihn solange schwebend in kurzer Entfernung über dem Kopfe bis die gegrüßte Person vorüber ist, dann setzte er ihn wieder auf. Man benutzt zum Gruße diejenige Hand, welche dem zu Grüßenden abgewendet ist. Befindet sich derselbe also auf der rechten Seite, so ergreift man den Hut mit der linken Hand und umgekehrt; denn man hat die Verpflichtung, den welchen man grüßen will, zu gleicher Zeit anzusehen. Eine Abweichung von der aufgestellten Regel findet statt, wenn ein Herr eine Dame führt: dann grüßt er selbstredend nur mit der freien Hand Dasselbe geschieht, sobald er irgend einen größeren Gegenstand trägt wie etwa bei Reisen sein Handgepäck oder dgl. – Stock und Schirm gehören nicht hierher, weil man sie beliebig in die rechte oder linke Hand nehmen kann, um mit der andern zu grüßen.

Herren, welche einander näher stehen, grüßen sich durch ein leises Lüften des Hutes oder ein bloßes Anfassen desselben. Eine[12] solche Art ist freilich nur zwischen intimen Bekannten zulässig. Damen auf diese Weise zu grüßen, wäre eine grobe Unart.

Beabsichtigt ein Herr, seinen Gruß ganz besonders ehrerbietig einzurichten, so kann dies in der Art des militärischen Frontmachens geschehen, d.h. er bleibt stehen und kehrt der zu grüßenden Persönkeit seine Vorderseite in strammer Haltung mit geschlossenen Füßen zu. Den Hut hält er in der herabhängenden rechten Hand, so daß seine Innenseite lose am Beinkleide anliegt, während er sich mit dem Kopfe allein verneigt.

Diese Art des Grußes findet auch dann Anwendung, wenn man steht und in den Fall kommt zu grüßen, sei es nun auf der Promenade oder sonst wo und zwar hier gegen jedermann, dem man einen achtungsvollen Gruß zugedacht hat.

Im Sitzen zu grüßen macht einen unschönen und nachlässigen Eindruck, und wir können jedem feinen Herrn nur raten, ohne weiteres zum Gruße aufzustehen.

Geht man an der Wohnung seiner Bekannten vorbei, so überzeuge man sich durch einen flüchtigen Blick, ob gerade jemand zum Fenster hinausschaut, in welchem Falle ihm derselbe Gruß zukommt, den man den Vorübergehenden zollt. Der also Gegrüßte hat freundlichst zu danken; ist es eine Dame, so zieht sie sich sogleich danach vom Fenster zurück. Ein unverwandtes, festes Hinstarren nach den Fenstern oder gar ein öfteres müßiges Vorübergehen bei denselben würde natürlich den guten Ton verletzen. Andererseits erklären wir uns auch vollständig gegen das Imfensterliegen. Für Damen ist es ganz unschicklich und macht einen wenig seinen Eindruck. Auch Herren möchten wir es nur mit Maßen gestatten. Geschieht irgend etwas Merkwürdiges auf der Straße, findet ein Aufzug oder dgl. statt, so ist dieses allerdings genügender Grund für ein zeitweiliges Hinauslehnen, niemals aber kann es vor dem guten Tone gerechtfertigt werden, stundenlang müßig in das Straßengewühl zu schauen.

Gehen zwei Herren miteinander, und der eine von beiden grüßt, so ist der andere verpflichtet, dasselbe zu thun, auch wenn ihm die gegrüßte Person unbekannt ist. Bleibt der Begleiter stehen, um mit dem Vorübergehenden einige Worte zu wechseln, so macht der andere noch einige Schritte vorwärts, damit den beiden die Möglichkeit bleibt, ungestört zu sprechen, und wartet dann auf seinen Freund. Verabschieden sich die Sprechenden, so beteiligt er sich auch hieran durch Hutgruß, dagegen finden wir es überflüssig, beim Warten den Hut in der Hand zu behalten, wie das viele Anstandslehrer wollen; wir erklären uns sogar gänzlich gegen diese Sitte. Im großen ganzen sind wir keine Freunde vom Stehenbleiben und[13] möchten dasselbe am liebsten ganz vermieden wissen. Muß es denn aber durchaus sein, so trete man wenigstens vom Trottoir fort nach den Häusern zu, um die Passage nicht zu sperren oder gar der Polizei Gelegenheit zu einer Rüge zu geben.

Eine Dame grüßt auf der Straße durch eine Verneigung des Kopfes und des Oberkörpers, die leichter oder tiefer ist, je nach dem Grade der Bekanntschaft. Für Damen und Herren aber machen wir es zum Gesetze, sich nur in ganz besonderen Fällen eines grüßenden Zurufes zu bedienen: der stumme Gruß allein ist sein und schön. Dennoch paßt man sich der Ortssitte an und läßt ein »Gelobt sei Jesus Christ«, »Glück auf« oder dgl. nicht unerwidert.

Sieht man sich veranlaßt, einen langentbehrten Bekannten auf der Straße anders als nur von weitem zu begrüßen, so kann dies durch einen Händedruck geschehen, wobei jedoch der Herr abzuwarten hat, ob Damen oder höhergestellte Persönlichkeiten ihm mit diesem Gruße entgegenkommen. Der Handkuß gehört nicht auf die Straße. Der Kuß als Gruß ist selbstredend nur im geschlossenen Raume und, nur in den allerintimsten Verhältnissen gestattet. Herrn unter sich raten wir ganz von diesem Zärtlichkeitsbeweise ab.

Gilt im allgemeinen die Regel, daß nur Bekannte einander grüßen, so giebt es doch viele Ausnahmen von derselben. z.B. darf man beim Einsteigen in einen besetzten Eisenbahn- oder Postwagen den Gruß nicht unterlassen. Dasselbe gilt, wenn man in einem Kaffeehause, Hôtel oder Restaurant an einem bereits occupierten Tische Platz nimmt. Auch an der Table d'hôte begrüßt man die rechten und linken Nachbarn durch eine Verneigung. Im Bade grüßt man sich beim regelmäßigen Zusammentreffen am Brunnen oder auf der Promenade. Dasselbe kann man auf Landpartieen oder im Gebirge thun, wenn man sich wiederholentlich trifft. Stadtbekannte, sehr hochstehende oder berühmte Persönlichkeiten grüßt man ebenfalls ehrerbietig, auch ohne ihnen vorgestellt zu sein. Auf dem Lande oder in ganz kleinen Städten, wo alles einander grüßt, schließt man sich selbstverständlich nicht davon aus und erwidert auch die Grüße Unbekannter freundlich.

Hat man den Eindruck, als wäre einem ein Gruß irrtümlicherweise zu teil geworden, so erwidere man ihn dennoch, aber mit großer Zurückhaltung.

Kurzsichtigen kann es sehr häufig passieren, daß sie Unbekannte grüßen und Bekannte übersehen. Das giebt nicht selten Grund zu böser Nachrede. Wir empfehlen die größte Milde diesen Ärmsten gegenüber. Es ist eigentlich nicht gut denkbar, daß ein Gruß aus[14] Unart unterbleibt; darum nehme man, wenn es vorgekommen, ohne weiteres an, daß es aus Kurzsichtigkeit geschah.

Abends betrachtet man den Grußzwang im allgemeinen als aufgehoben, und viele halten es sogar für durchaus unpassend, einen Gruß zu wagen. Doch gilt das natürlich nur für dunkele Straßen. Solche, in denen trotz der späten Stunde künstliche Tageshelle herrscht, entbinden keineswegs vom Gruße. Bei argem Regenwetter aber unterläßt man denselben stets; es sei denn, daß ein Herr einer Dame seinen Schirm anbieten will, was natürlich erst nach höflicher Begrüßung geschehen kann. Ob die Dame dieses Anerbieten annimmt, darüber entscheidet ihre persönliche Ansicht. Der gute Ton hat nichts dagegen einzuwenden, weil er es lediglich als Ritterpflicht der Herren betrachtet, den Damen in jedem Falle hilfreich beizuspringen. Nimmt die Dame Schirm und Begleitung an, so muß der Herr ernstlich bedacht sein, sie zu schützen und stets achtgeben, den Schirm genügend hoch zu halten, um ihren Kopf und Hut nicht zu streifen.

Auch den Vorübergehenden darf man mit dem offenen Schirme nicht lästig werden, was wohl geschehen könnte, wenn das abfließende Wasser sie benetzte, oder die Stäbe des Schirmes sie berührten. Viele haben sogar das Unglück, mit dem geschlossenen Schirme die Nächsten zu behelligen. Es ist aber auch kaum faßlich, wie sie es fertig bringen, ihn im größten Gedränge wagerecht unter dem Arme zu tragen oder gar damit in der Luft herumzufechten. Diese schlechten Angewohnheiten findet man ausschließlich bei Herrn, welche auch den Spazierstock oft in derselben Weise handhaben. Jeder trage Schirm und Stock senkrecht und ruhig; geschieht es trotzdem, daß er mit an deren in Kollision kommt, so hat er sich aufs höflichste kurz zu entschuldigen, selbst wenn der andere die Hauptursache des Zusammenstoßes war.

Bietet ein Unbekannter einer Dame seine Begleitung an, so hat sie dies als eine grobe Beleidigung aufzufassen. Eine Antwort oder gar eine Zurechtweisung ihrerseits aber wäre sehr gewagt und unangebracht. Das Einzige, was ihr zu thun übrigbleibt, ist, die Frechtheit unbeachtet zu lassen und ihren Weg so schnell fortzusetzen, wie es der Anstand irgend erlaubt. Hat der Betreffende trotzdem die Dreistigkeit, ihr zu folgen, so ist es am besten, sie tritt in ein Haus oder in einen Laden, um ihm den Glauben beizubringen, sie sei am Ziele. Sollte er die Hartnäckigkeit haben, auf sie zu warten, so bleibt ihr nichts übrig, als einen Wagen zu nehmen oder sich an den nächsten Schutzmann zu wenden. Freilich müssen die Damen sich ruhig und gelassen auf der Straße bewegen, um zu einer solchen Unverschämtheit der Herren in keiner Weise Grund zu geben.[15]

In einem Wagen gilt der Vordersitz als Ehrenplatz und wird daher von den Damen oder ganz alten Herren eingenommen, während jüngere Herren auf dem Rücksitze Platz finden. Nehmen nur Damen an der Fahrt teil, so gebührt den älteren oder hochgestellten der Vordersitz, während die jüngeren, besonders ganz junge Mädchen, ohne weiteres den Rücksitz ein nehmen. Auch wenn eine Dame und ein Herr den Wagen besteigen, sollte letzterer sich, ohne besondere Aufforderung hierzu, nicht in den Fond setzen, sondern auf den Rücksitz. Neben der Dame nimmt er natürlich den linken Platz ein, und sind zwei Damen vorhanden, so wird er stets den Rücksitz einnehmen, auch wenn es sich um die Gesellschafterin seiner Gattin oder die Erzieherin seiner Kinder handelt. Selbst der Vater überläßt seinen erwachsenen Töchtern den Fond; denn es sieht immer schlecht aus, wenn ein Herr diesen einnimmt, während eine Dame ihm gegenüber sitzt, und der Vorwurf mangelnder Lebensart trifft dann jedesmal den Herrn.

Daß der Herr den Damen beim Ein- und Aussteigen behülflich sein muß, und daß er im Wagen nicht rauchen darf, ist selbstverständlich. Erwähnen wollen wir noch, daß, falls der Wagen so steht, daß der rechte Fondplatz den Einsteigenden näher ist, es uns nicht gefällt, wenn derjenige, welcher den linken Platz einnehmen will und muß, schnell vor dem anderen einsteigt; besonders schlecht kleidet das junge Mädchen älteren oder vorgesetzten Damen gegenüber. Wir empfehlen in diesem Falle, lieber hinten um den Wagen zu gehen, um von der anderen Seite einzusteigen. Geschieht das mit einiger Geschicklichkeit, so kann es kaum als ostentative Umständlichkeit aufgefaßt werden, sondern höchstens angenehm auffallen. Kutschiert ein Herr, so gebührt ihm der rechte Eckplatz und in einem dreisitzigen Kabriolett der Mittelplatz. Kommt man während der Fahrt in den Fall zu grüßen, so neigen die Damen den Kopf oder auch den ganzen Oberkörper. Die Herren lüften den Hut, bei besonderen Respektspersonen erheben sie sich auch wohl halb von ihrem Sitze.

Beim Reiten bleibt der Herr an der rechten Seite der Dame. Ist er ihr alleiniger Begleiter, so hat er vorher das Pferd daraufhin zu untersuchen, ob alles in Ordnung ist und dann der Dame beim Aufsteigen behülflich zu sein.

Handelt es sich um Benutzung einer öffentlichen Fahrgelegenheit, als Post, Pferdebahn, Omnibus u. dgl., so versteht es sich von selbst, daß ein gebildeter Mensch sich der bestehenden Fahrordnung fügt und darauf hält, die Mitfahrenden in keiner Weise zu belästigen. Jeder nimmt seinen Platz ein, tritt jedoch Mangel an Sitzplätzen ein, so wäre es einfache Pflicht der Herren,[16] die ihrigen den Damen abzutreten; leider ist die Empfindung für diese Art Höflichkeit unter den Deutschen sehr stark im Aussterben begriffen. Wird ja einer Dame diese freundliche Aufmerksamkeit zuteil, so wetten wir hundert gegen eins, daß es in den meisten Fällen ein Ausländer ist, dem es nicht angemessen schien, festzusitzen, während sie stand.

Bietet ein Herr einer Dame seinen Platz an, so hat sie eine solche Artigkeit keineswegs als selbstverständlich zu betrachten, sondern sich mit kurzen Worten sehr höflich dafür zu bedanken, ehe sie sich setzt. Unbedingt erwarten darf eine Dame Ritterdienste niemals, auch das Platzmachen nicht. Sie thut also gut, in der überfüllten Pferdebahn ruhig stehenzubleiben und nicht suchend und fragend umherzublicken.

Während der Fahrt auf- oder abzuspringen ist für einen Herrn wohl angängig, für eine Dame niemals. Einer Unterhaltung im Pferdebahnwagen oder Omnibus können wir keinen Geschmack abgewinnen.

Alles, was in diesem Kapitel vom Benehmen und Grüßen auf der Straße gesagt wurde, gilt ohne weiteres auch für die Promenade, nur daß für dieselben noch einige Weiterungen erforderlich sind.

Junge Mädchen und selbst Frauen betreten den öffentlichen Spaziergang nicht gern allein, wir raten ihnen auch nicht dazu. In Ermangelung einer älteren Begleiterin genügt es vollständig, wenn zwei jüngere Damen miteinander gehen, doch empfehlen wir diesen doppelte Vorsicht in Haltung und Betragen. Wir finden es nicht schicklich, wenn sie sich mit einer Handarbeit hier festsetzen. So etwas ziemt höchstens einer vielbeschäftigten Mutter, welche die Spiele ihrer Kinder gern persönlich beaufsichtigt und die Zeit dabei nicht unbenutzt lassen möchte. Einer einzelnen Dame raten wir in jedem Falle von solch einem häuslichen Niederlassen auf der Promenade ab, weil sie sich den allerunangenehmsten Belästigungen aussetzt. Ruht sie auf einer Bank aus und wird von einem Bekannten gegrüßt, so antwortet sie durch eine leichte Verneigung im Sitzen, naht aber eine ältere oder höherstehende Dame, so erhebt sie sich zum Gruße, geht ihr auch wohl entgegen und bittet sie, ebenfalls Platz zu nehmen. Wird einem Herrn von einer Dame solche Aufforderung zuteil, so kann ihn nur die allerdringendste Abhaltung von der Annahme derselben lossprechen.

Für alleinstehende Damen, denen es an passender Begleitung fehlt, empfiehlt es sich, ihre Spaziergänge in die Tagesstunden zu zu legen, während welcher die Promenade weniger belebt ist. Auch dürfen sie weder die einsamen noch die zuviel betretenen Wege wählen, weil sie sich dadurch leicht allerlei Fatalitäten aussetzen.[17]

Quelle:
Schramm, Hermine: Das richtige Benehmen. Berlin 201919, S. 11-18.
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