14.–15. April 1834

[537] Vogel halte, laß dich fragen

Hast du nicht mein Glück gesehn

Hast du's in dein Nest getragen,

Ei dein Glück, ei sage wen?


Eine feine zarte Rebe

Und zwei Träublein Feuerwein

Drüber Seidenwürmer Gewebe

Drunter süße Maulbeerlein.


Hier hab' ich's im Arm gewieget

Hier am Herzen drückt' ich's fest,

Lieblich hat sich's angeschmiegen

Und du Vogel trugst's ins Nest.


Armer Mann, dein Glück ich wette,

War ein Liebchen und kein Strauß[537]

Ging aus deinem Arm zu Bette

Und du gingst allein zu Haus.


Meinst du? – Nun so sag mir Quelle

Hast du nicht mein Glück gesehn

Trug's ins Meer nicht deine Welle

Ei dein Glück, ei sage wen?


Eine tauberauschte Rose

Und zwei Rosentöchterlein

Frühlingsträume ihr im Schoße,

Wachten auf und schliefen ein.


Hier am Herzen hat's gehauchet,

Süßen Duft, Goldbienen schwer

Sind die Küsse eingetauchet.

Fort ist's – Ach du trugst's ins Meer.


Armer Mann, dein Glück ich wette,

Linder war dein Rosenlos

Ging aus deinem Arm zu Bette

Heim trugst du die Dornen bloß.


Meinst du, will ich Taube fragen,

Hast du nicht mein Glück gesehn

Nicht ins Felsennest getragen?

– Ei dein Glück! – ei sage wen?


Eine goldne Honigwabe,

Süßen Seim und Wachs so rein

Aller Küsse Blumengabe

Schlossen drin die Bienen ein.


Ach ich trug es an die Lippen

Duftend, schimmernd, süß und lind

Durft' ein bißchen daran nippen

War doch ein verwöhntes Kind.[538]


Armer Mann, dein Glück, ich wette,

Linder war's, als Honigseim

Ging aus deinem Arm zu Bette,

Und du gingest einsam heim.


Meinst du? – will ich Echo fragen,

Hast du nicht mein Glück gesehn,

Und willst allen wieder sagen?

Ei dein Glück, ei sage wen?


Einer Stimme süßes Klagen

Locken, Flüstern, Wonn' und Weh',

Nachtigallen-Traumeszagen

Bitte, bitte, geh o geh!


Mir am Herzen hat's gewehet

Alle Wonnen, allen Schmerz,

Wie ein Kinderseelchen flehet

Unter süßem Mutterherz!


Armer Mann! dein Glück, ich wette,

War ein linder träumend Wort,

Fleht' aus deinem Arm zu Bette,

Du gingst einsam dichtend fort.


Meinst du. – muß ich Rose fragen,

Hast du nicht mein Glück gesehn

Birgt dein Schoß nicht süßes Zagen.

Ei dein Glück: Ei sage wen!


Süßes Duften, wachend Träumen,

Hülle, Fülle, süß und warm

Bienenkuß an Rausches Säumen

Irrend, suchend, Rausches arm.


Hier am Herzen hat's geblühet,

Meine Seele süß umlaubt,

Liebe hat mein Blut durchglühet,

Hoffnung hat doch nicht geglaubt.[539]


Armer Mann, dein Glück ich wette

Linder war's, als Trunkenheit

Ging aus deinem Arm zu Bette

Du gingst einsam, kühl, es schneit.


Meinst du, frage ich die Sterne,

Habt ihr nicht mein Glück gesehn?

Sterne sehn ja Augen gerne.

Ei dein Glück? ei sage wen?


Lockennacht an Himmelsstirne

Sinnend, minnend Doppellicht,

Augen blitzend Glücksgestirne,

Andern Sternen folg' ich nicht.


Sah's von Tränen tief verschleiert

Sah's von Sehnen tief durchglüht

Sah's durchleuchtet, sah's durchfeuert

Sah's wie Liebe blüht und flieht.


Armer Mann, dein Glück ich wette

War ein linder Augenschein,

Ging aus deinem Arm zu Bette,

Durch die Nacht gingst du allein.


Meinst du, muß die Lilie fragen

Hast du nicht mein Glück gesehn

Reimt sich dir, doch darf's nicht sagen.

Ei dein Glück, ei sage wen?


Eine, eine, sag nicht welche,

Stand im Gärtchen nachts allein

Sah o Lilie! deine Kelche

Überströmt von Lichtesschein.


Hat von Lilien, Engeln, Sternen

Schon an meiner Brust geträumt,

Alle Nähen, alle Fernen

Mir mit Dichtergold gesäumt.[540]


Sel'ger Mann, dein Glück, ich wette

Ist Emilie, fein und lieb

Ging aus deinem Arm zu Bette

Dir des Traumes Goldsaum blieb.


Meinst du, muß Emilien fragen,

Hast du nicht mein Glück gesehn

Hast du's in dein Bett getragen?

– Ei dein Glück, o sage wen?


Ein Süßlieb, schwarzlaub'ge Linde

Schwüle, kühle, süße Glut,

Feuermark in Eises Rinde

Hüpfend Kind in freud'gem Blut.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 537-541.
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