Künstlers Fug und Recht

[407] Ein frommer Maler mit vielem Fleiß

Hatte manchmal gewonnen den Preis,

Und manchmal ließ er's auch geschehn,

Daß er einem bessern nach mußt stehn;

Hatte seine Tafeln fortgemalt,

Wie man sie lobt, wie man sie bezahlt.

Da kamen einige gut hinaus;

Man baut' ihn' sogar ein Heiligenhaus.


Nun fand er Gelegenheit einmal,

Zu malen eine Wand im Saal;

Mit emsigen Zügen er staffiert',

Was öfters in der Welt passiert;

Zog seinen Umriß leicht und klar,

Man konnte sehn, was gemeint da war.


Mit wenig Farben er koloriert',

Doch so, daß er das Aug frappiert'.

Er glaubt' es für den Platz gerecht

Und nicht zu gut und nicht zu schlecht,

Daß es versammelte Herrn und Fraun

Möchten einmal mit Lust beschaun;

Zugleich er auch noch wünscht' und wollt,

Daß man dabei was denken sollt.


Als nun die Arbeit fertig war,

Da trat herein manch Freundespaar,

Das unsers Künstlers Werke liebt

Und darum desto mehr betrübt,

Daß an der losen, leidigen Wand

Nicht auch ein Götterbildnis stand.

Die setzten ihn sogleich zur Red,

Warum er so was malen tät,

Da doch der Saal und seine Wänd

Gehörten nur für Narrenhänd;[407]

Er sollte sich nicht lassen verführen

Und nun auch Bänk und Tische beschmieren;

Er sollte bei seinen Tafeln bleiben

Und hübsch mit seinem Pinsel schreiben;

Und sagten ihm von dieser Art

Noch viel Verbindlichs in den Bart.


Er sprach darauf bescheidentlich:

»Eure gute Meinung beschämet mich.

Es freut mich mehr nichts auf der Welt,

Als wenn euch je mein Werk gefällt.

Da aber aus eigenem Beruf

Gott der Herr allerlei Tier' erschuf,

Daß auch sogar das wüste Schwein,

Kröten und Schlangen vom Herren sein,

Und er auch manches nur ebauchiert

Und gerade nicht alles ausgeführt

(Wie man den Menschen denn selbst nicht scharf

Und nur en gros betrachten darf):

So hab ich als ein armer Knecht

Vom sündlich menschlichen Geschlecht

Von Jugend auf allerlei Lust gespürt

Und mich in allerlei exerziert,

Und so durch Übung und durch Glück

Gelang mir, sagt ihr, manches Stück.

Nun dächt ich, nach vielem Rennen und Laufen

Dürft einer auch einmal verschnaufen,

Ohne daß jeder gleich, der wohl ihm wollt,

Ihn 'nen faulen Bengel heißen sollt.


Drum ist mein Wort zu dieser Frist,

Wie's allezeit gewesen ist:

Mit keiner Arbeit hab ich geprahlt,

Und was ich gemalt hab, hab ich gemalt.«
[408]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 407-409.
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