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[324] Der große Hünenring an der Grotenburg Hermanns Wohnung darin. Weiter Hausflur. Mittag.


THUSNELDA. Die Völker. Essenszeit.


Das Volk kommt und setzt sich an den langen Speisetisch Sie auch.


GROSSMAGD. Die Suppe –

THUSNELDA. Nicht sonderlich, wie ich schmecke, und die Portionen recht spärlich. Meine Leute sollen arbeiten, aber auch tüchtig essen.

HAUSHOFMEISTER. Beginnen wir. Er nimmt seine Bärenfellmütze ab, die Knechte und Jungen folgen seinem Beispiel,[324] auch die Mägde tun andächtig aller Augen sind indes immer auf die dampfende Suppe gerichtet. Thusnelda beobachtet. Schweinejunge bete!

THUSNELDA. Warum betet bei eurem Tisch stets der Jüngste? Ich wollte dich schon oft darum fragen, Alter. Andere Sorgen machten es mich vergessen.

HAUSHOFMEISTER. Ja – nein – Wenn ichs wüßte – – Es ist uralte Sitte, Fürstin, und du weißt: »was die Alten sungen, pfeifen die Jungen.« – Doch – vielleicht – es fällt mir was ein: er muß wahrscheinlich sein Geplapper machen, weil er der Jüngste ist, und noch keine Zeit gehabt hat, soviel zu sündigen als wir übrigen.

DER SCHWEINEJUNGE ist aufgestanden, hat mit frommer Gebärde Unverständliches hingemurmelt, setzt sich eiligst und ißt. Ich bin fertig.

DAS GESINDE. Wodan gelobt!

THUSNELDA. Daß dich, das Schüsselgeklirr! Sie hauen in den Braten als hätten sie einen Feind vor sich auf den Tellern! – Die Speise behagt. Was kann der Hausfrau lieber sein?

EIN PFÖRTNER kommt. Der welsche Oberfeldherr läßt sich melden.

THUSNELDA sinkt in Gedanken. – wohl kann der Hausfrau etwas lieber sein als Schüsselgeklirr: das Vaterland und der Gemahl. – Hermann, den Tag, wo wir im grünen Laubgegitter des Buchenhains nach langem heimlichen Sehnen uns begegneten, und mehr zitterten, erbleichten und erröteten als die bunt durch die Blätter spielenden Strahlen der Morgensonne, – muß ich ihn vergessen? – Damals vermutete ich in dem Geliebten auch Deutschlands Befreier und du wardst Roms Skl – – Laut. Wer spricht? Wer wagts ihn zu verleumden? Ein Sklav, ein römischer Speichellecker war, ist und wird er nun und nimmer! Da unten läg er ja am Fuße dieser seiner Grotenburg zerschmettert von seinem berghohen Fall! – Und wärs doch möglich?

DER PFÖRTNER. Herrin?

THUSNELDA. Ach, ich vergaß. Laß den Römer ein.


Pförtner ab. Pause.


VARUS eintretend. Gruß, Fürstin.

THUSNELDA. Dank, Prokonsul. Nimm Platz.

VARUS. Unter dem Gesinde?[325]

THUSNELDA. Sitz' ich nicht auch darunter? Mein Gesinde ehrt mich, ich ehr es wieder. So gleichen Herren und Diener sich aus.

VARUS. Ländlich, sittlich, doch italisch ists nicht.


Er setzt sich.


THUSNELDA. Speise mit: Linsen, Erbsen, und Wildschweinsbraten.

VARUS. Die Hülsenfrüchte scheinen trefflich. Mein Gaumen ist nur noch zu wenig daran gewöhnt. Aber der Braten wird um so ansprechender, kräftiger und delikater sein – Er ißt, und niest gleich darauf. Kastor und Pollux, das beißt in die Zunge und stinkt in die Nase!

THUSNELDA. Der Eber ist ranzig. Wir lassen ihn mit Vorsatz so werden. Er erhält dadurch einen eigentümlicheren, schärferen Geschmack.

VARUS. De gustibus non est disputandum. Ich bin satt.

THUSNELDA zum Gesinde. Seid ihr es auch?

DAS GESINDE. Ja.

THUSNELDA mißtrauisch. Lügt nicht. Eßt noch.

DAS GESINDE. Wir können nicht mehr.

THUSNELDA. Räumt ab, Mägde. – Knechte, wo habt ihr eure Augen? Müssen euch die Pferde mit den ihrigen suchen? Dort blicken sie hungernd und durstend über die leeren Krippen auf die Tenne. Pfui, wer speist selbst und versäumt sein angebundenes Vieh?

KNECHTE beschämt, die Pferde fütternd und tränkend. Die hat die Augen überall.

EINER. Mir wirds grün und gelb vor den meinigen, wenn ich die ihrigen so blau auffunkeln sehe.

VARUS. Hohe Frau, wie beklag ich dich wegen des Getriebs, in welchem du dich bewegen mußt. Wie leicht dir, dich an Roms gebildetere Sitten zu gewöhnen. Gar Livia, die Kaisergemahlin, sehnt sich nach dir.

THUSNELDA. Sie kann ja hieherkommen. Was klirrt? Zu einer Magd. Das Salzfaß zerbrochen? Wer einmal etwas zerbricht, macht immer Stücke – Fort aus meinem Dienst. Heule nicht, es geht nicht anders. Nimm diesen goldnen Ring mit.

VARUS. Du bist so hart als mild.

THUSNELDA. Kann man in Cheruska anders? Um uns: die rauhe, karge Natur voll Sand und Wald, die uns zwingt, das Geringste zu beachten, damit wir einen mäßigen Wohlstand[326] bewahren. In uns: das Herz, welches auch starr und streng sein sollte, und doch oft weichliche Gefühle nicht zu unterdrücken vermag. In eurem Süden solls besser sein.

VARUS. Wie ich dir schon gesagt habe, du würdest bald unter duftenden Olivenhainen die von Regen und Frost schauernden Wälder des Nordens verachten.

THUSNELDA. Sind sie verächtlich, weshalb kommt ihr so weit her, sie zu erobern?

VARUS. Darüber zu reden, ist hier nicht Ort noch Zeit. Nur dies will ich dir vorläufig andeuten: wir mußten hier einige eurer Lande einstweilen besetzen, weil von Osten her germanische und slavische Völkerstämme einzubrechen drohen, denen ihr nicht hättet widerstehen können.

THUSNELDA. Nu – – Wo ist mein Mann?

VARUS. Er spürt den Harz aus, und kehrt bald heim.

THUSNELDA wird finster, lehnt den Kopf auf die rechte Hand und ihre linke spielt mit einigen Brosamen. Ei, wollt ihr wohl so liegen, wie ich will, oder seid ihr tapferer und widerspenstiger als freie Männer?

VARUS. Plötzlich ernst?

THUSNELDA. Ich wüßte nicht. Ich spiele nur mit Krumen. Für sich. »Er spürt den Harz aus«! Ward er ein Hühnerhund und schnuppert für dies Volk?

VARUS steht auf. Wie ich sehe, stör ich dich.

THUSNELDA. Du tust es nicht im mindesten. Daß ich eben an meinen abwesenden Gatten dachte, verzeihst du wohl.

VARUS. – Bist du römisch gesinnt? So echt, wie dein Gemahl?

THUSNELDA. Mich wundert die Frage. Wie sollt und müßt ich nicht? Ich bin nur Hermanns Hausfrau, er ist der eurige, und was er denkt und tut muß mir Gesetz sein. Sie gerät in eine augenblickliche Aufwallung. Doch hütet euch vor unsren Blondköpfen. Es versteckt sich viel dahinter.

VARUS. Wie fein du dich zur Zielscheibe deines Scherzes machst. So lang dein Haupt unter den Blondköpfen glänzt, bin ich sicher. – Lebe wohl. Ab.

THUSNELDA. Ich heuchelte Freundlichkeit, und mache mir nun Vorwürfe. Still ihr Nachkläffer im Busen! – Wodan, strafe mich, erlöse nur das Land um dessetwillen ich log – Meine Berge mit den prächtigen Waldkämmen wollen sie niedertreten,[327] unsre braven Burschen sollen in ihren Schlachtlinien dienen und verbluten – Ich leids nicht, und gibt Hermann die Schmach zu, werd ich der Kämpfer: Ich!


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 3, Emsdetten 1960–1970, S. 324-328.
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