Vierte Szene

[348] Nördliches Gestade von Elba, nicht weit von Porto Ferrajo Anbrechender Abend.

Napoleon steht am Ufer, Bertrand neben ihm, – eine Ordonnanz von der polnischen Legion hält zu Pferde in der Nähe.


NAPOLEON. Bertrand, dies ist ein herrlicher Platz – Ich lieb ihn abends – Da das Meer, der Spiegel der Sternenwelt, hinbrausend nach den Küsten von – Ach – Der Bergwerksdirektor zu Porto Ferrajo ist abgesetzt. Er hat betrogen.

BERTRAND. Ew. Majestät, der Mann war doch –

NAPOLEON. Ich hab es gesagt – – Pole in Gedanken? wo denkst du hin?

DER POLNISCHE LEGIONSREITER. Wegreiten möcht ich über das Meer, nach Marseille, Paris, und zuletzt nach meinem Vaterlande, aber nimmer ohne dich, mein Feldherr und mein Vater.

NAPOLEON. Ein Schiff erscheint da – Welche Flagge führt es?

BERTRAND. Man kann sie nicht erkennen. Vermutlich ein französischer Levantefahrer, der von Marseille kommt.[348]

NAPOLEON. Der Glückliche! er war an den Küsten Frankreichs. – Ob man im schönen Frankreich noch meiner gedenkt?

BERTRAND. Kaiser, du fragst? – – So lange die Sonne in die Prachtfenster der Paläste und in die schmalen Glasscheiben der Hütten funkelt, wird man Deiner gedenken, oder Frankreich verdiente unterzugehen.

NAPOLEON. Möglich. Aber die Leute sind vergeßlich – Der Marmont, Augereau –

BERTRAND. Die Verräter!

NAPOLEON. Ha! statt an Taten, zehrt man jetzt an Erinnerungen! Zuckte nicht einst das stolze Österreich, wie ein Wurm in dieser Hand? Nicht Preußen? Ließ ich sie beide nicht leben und bestehen? – Wie undankbar die Welt, das elende, schlechte Scheusal! – Mein eigner Schwiegervater –

BERTRAND. Verzeih ihm, – er wurde es, weil Du befahlst – Als er nicht mehr zu gehorchen brauchte, zerriß er die Bande –

NAPOLEON. Bande – sage, das Herz seiner Tochter.

BERTRAND. Was kümmert das den Stolz und die Politik der alten Herrschergeschlechter?

NAPOLEON. Die Toren! Sie sehnen sich noch einst nach dieser kleinen Hand, wenn sie längst Asche ist, denn Ich, Ich bin es, der sie gerettet hat – Ließ ich den empörten Wogen der Revolution ihren Lauf, dämmt Ich sie nicht in ihre Ufer zurück, – schwang ich nicht Schwert und Szepter, statt das Beil der Guillotine immer weiter stürzen zu lassen, – wahrhaftig, wie dort am Strande die Muscheln, wären all die morschen Throne, samt den Amphibien, die darin vegetieren, hinweggeschwemmt, und schöner als jenes Abendrot begrüßten wir vielleicht die Aurora einer jungen Zeit. – Ich hielt mich zu stark, und hoffte sie selbst schaffen zu können. – O ich muß sprechen, denn ich vermag ja jetzt nicht anders. Diese Scholle Elba kenn ich nun auch und habe sie satt. Ein bißchen Dreck! – Wie jämmerlich ein kleiner Fürst, der nicht dreinschlagen kann –

BERTRAND. Werde wieder ein großer.

NAPOLEON. Ist die Canaille es wert? Ist sie nicht zu klein, um Größe zu fassen? Weil sie so niedrig war, ward ich so riesenhaft.

BERTRAND. Du warest mehr als die Welt.[349]

NAPOLEON. Und jetzt! Bertrand, welch ein Ende! Hier hingeschmiedet, ein anderer Prometheus, den Geier im Herzen. Hingeschmiedet nicht von der Kraft und Gewalt, sondern von der Überzahl der Schwachen und Elenden – Sohn, Mutter, von mir gerissen – Täte man das einem Bauer?

BERTRAND. Erderschütterer, den Bauer fürchtet man nicht.

NAPOLEON. Hat Rußlands Alexander so ganz vergessen, wie er auf dem Niemen sich beugte? Hat der Preußenkönig –

BERTRAND. O Sire, den tadle nicht. Er verlor durch deine Schlachten die schönste Rose im Schnee des Nordlands. Ich habe sie erblickt und das Auge ward mir feucht, als ich ihren Tod erfuhr.

NAPOLEON. Konnt ich davor? – Weswegen blühte sie im Gleise meines Siegeswagens? Das Geschick trieb seine Räder zermalmend über noch viel härtere Herzen: Pichegru, d'Enghien, Moreau –

BERTRAND. Du, selbst so Gewaltiger, glaubst ein Geschick?

NAPOLEON. Ja, es stand bei mir in Korsika, meiner meerumbrausten Wiege, und wird auch meinen Sarg umbrausen. In Moskaus Flammen, nachdem ich lange es vergessen, sah ich es mit seinen Fittichen sich wieder über mich erheben. – Nicht Völker oder Krieger haben mich bezwungen – Das Schicksal war es. – Was ist dir?

BERTRAND. Mein Kaiser, vielleicht – kaum wag ich es zu sagen –

NAPOLEON. Sag es!

BERTRAND. – vielleicht mein Freund –

NAPOLEON. Es könnte sein. Doch glaubst du es, so schweige davon.

BERTRAND. – ich kann es nicht ertragen, Dich so zu sehen, so wie jetzt, einen –

NAPOLEON. Nun?

BERTRAND. – einen Löwen im Käfig. – Auch meine Gemahlin härmt sich ab. Ihre Schönheit, ihre Heiterkeit schwinden dahin seit Deinem Fall.

NAPOLEON. Ich weiß. – Wie stehts wohl in Frankreich?

BERTRAND. Schlecht, Sire. Der König schwach, die Prinzen übermütig, die Ultras siegend, Deine alten Krieger verhöhnt –

NAPOLEON. O mein Land, mein Land! – Man sage, was man will, ich hab es stets geliebt! – Fühlten meine Feinde den[350] Schmerz, der mich seinetwillen durchbrennt, – die Jämmerlinge stürben daran, wie Mücken am Lichte!

BERTRAND. Es ist gestern ein Offizier aus Frankreich angekommen.

NAPOLEON. Aus Frankreich? Er komme. – Aber bemerkte ihn keiner der fremden Späher?

BERTRAND. Nein, – er schlich als italiänischer Matrose verkleidet bis zu uns.

NAPOLEON. Wie heißt er?

BERTRAND. Graf St. P-le.

NAPOLEON. Von dem hört ich früher. – Er focht brav bei Champeaubert.

BERTRAND. Da ist er, Sire.


Der Offizier tritt vor.


NAPOLEON. Wer sind Sie?

DER OFFIZIER. Graf St. P-le, Ew. Majestät.

NAPOLEON. Was wollen Sie hier?

DER OFFIZIER. Ewr. Majestät dienen.

NAPOLEON. Geht nicht, mein Herr. Habe schon Offiziere genug. Ich kann Sie nicht besolden.

DER OFFIZIER. Sold verlang ich nicht.

NAPOLEON. So? – Haben Sie Briefe?

DER OFFIZIER. Nein, Sire.

NAPOLEON. Adieu.

DER OFFIZIER. Sire, Briefe mitzunehmen, war gefährlich. Aber ich redete mit Fouché.

NAPOLEON. Fouché – Was sagte er? Sagen Sie es mir, – gleich und heimlich.


Der Offizier spricht heimlich mit ihm.


Es ist gut. – Wie ists mit den Bourbons? Mir zahlen sie meine Gelder nicht. Ich könnte ihnen, als souveräner Fürst von Elba, Krieg erklären, wegen gebrochenen Vertrags.

DER OFFIZIER. Der König übersetzt den Horaz, Monsieur geht auf die Jagd, die Angoulême betet, ihr Mann hört zu, Berry liebt die Damen.

NAPOLEON. Das Volk?

DER OFFIZIER. Ärgert sich, daß Pfaffen, Betschwestern und emigrierte Edelleute es beherrschen sollen.

NAPOLEON. Das unselige bourbonische Haus! Es wird noch einst in einem adligen Nonnenkloster aussterben. – Das Heer?[351]

DER OFFIZIER. Es schweigt.

NAPOLEON. Und denkt?

DER OFFIZIER. An Sie!

NAPOLEON. Die Bourbons haben Haustruppen, rote Kompanien?

DER OFFIZIER. Die Haustruppen sind Greise oder Kinder. An den roten Kompanien ist nichts Rotes als ihre Montur, – bei Marengo oder Austerlitz wurden sie wahrlich nicht rot gefärbt.

NAPOLEON. Die gefangenen Veteranen der Großen Armee?

DER OFFIZIER. Kommen täglich aus Rußland zurück –

NAPOLEON. Ha, wieder da!

DER OFFIZIER. – und werden ohne Pension verabschiedet, oder mit halber Pension, die nicht bezahlt wird, entlassen –

NAPOLEON. Besser, besser stets und besser! Hätt ich den treuesten meiner Freunde nach Paris geschickt, mein Reich zu verwalten, er hätte nicht so gut für mein Interesse gesorgt, als die Bourbons! – O meine Gardegrenadiere, wandelnde Festungswälle mir in der offnen Schlacht, und alle, alle, die ihr Bajonette für mich aufpflanztet, Säbel für mich schwanget, bald sonn ich mich wieder in eurem Waffenglanze, und das Gleichgewicht Europas fliegt bebend aus den Angeln!

BERTRAND. Kaiser, endlich?

NAPOLEON. Gleichgewicht! Als ob man Völker abwägen und zählen könnte! Die Erde ist am glücklichsten, wenn das größte Volk das herrschendste ist, stark genug überall sich und seine Gesetze zu erhalten, und wer ist größer, als meine Franzosen? – Kongreß zu Wien! Da streiten sie sich um den Mantel des Herrn, den sie hier am Kreuze wähnen – mein Polen, mein Sachsen wird zerteilt, – Niemand wird von dem halben Bissen satt, ja, er wird Gift im Munde – Aber der Herr erstand! – – Europa, der kindisch gewordene Greis bedarf der Zuchtrute, und was meinen Sie St. P-le, wer könnte sie besser schwingen, als Ich?

BERTRAND. Der Prinz von Masseriano fordert Elba als sein Eigentum zurück.

NAPOLEON. Der Knabe!

BERTRAND. Auch spricht man davon, Dich nach St. Helena zuversetzen.[352]

NAPOLEON. Wie? wenn es mir nun gefiele, den Fuß nach Frankreich zu setzen? Nicht zwei Tage und ich bin dort.

DER OFFIZIER. O Sire, Sire, dahin! Sie nur können es erlösen!

NAPOLEON. Man denkt mit mir zu spaßen. Es ist zum Totlachen! – Meine Herren, wird nicht, sowie ich bei Toulon lande, der weltbekannte Klang meiner Kriegstrompete wie ein Blitz durch alle Busen schmettern? Wird mein Adler nicht im Augenblick von Turm zu Turm bis St. Denis hinfliegen?

BERTRAND UND DER OFFIZIER. O lande, lande!

NAPOLEON. Graf St. P-le, wer sendet Sie? Verschworene wider die Bourbons?

DER OFFIZIER. Sire, nein. Die Nation ruft Sie.

NAPOLEON. Das wollt ich – Verschworene sind immer Schurken, die nur ein Werkzeug für ihre Pläne suchen, welches sie nachher gern wegwerfen.

DER OFFIZIER. Auch Italien, aus dem ich eben komme, ist voll Unruhe. Selbst der König von Neapel bereut seinen Abfall.

NAPOLEON. Ich weiß – Er wird vernünftig aus Not. Der und der Bernadotte – Bernadotte, welcher vom nahen Rußland alles, vom fernen Frankreich nichts zu fürchten hatte, der seine Schildwache, wenn er mit mir hielt, dicht unter den Fenstern des Zarenschlosses zu Petersburg aufstellen konnte, sind untreu geworden, – Murat aus Tollheit, und Bernadotte aus Eifersucht auf mich – – Die Armen! Mit mir ging die Sonne unter, die diese Planeten im Schwunge erhielt – Nicht drei Jahre, und Europas Fürstenhäuser schämen sich der unadligen, bloß von meiner Größe ausgebrüteten Fliegen! – Wo ist Cambronne?

BERTRAND. Hält dicht hinter uns, bei dem Dich begleitenden Detachement der Ulanen.

NAPOLEON. Pole, ruf den Kommandeur der Garde.

DER POLNISCHE LEGIONSREITER. Ha! Gleich!


Reitet fort und kommt bald darauf mit Cambronne zurück.


NAPOLEON. General, sind die Magazine versorgt?

CAMBRONNE. Sire, wie Sie geboten.

NAPOLEON. Teilen Sie an jeden Infanteristen und jeden Reiter Rationen auf vier Tage aus. – Sind die Brigg und die beiden in Beschlag genommenen Kauffahrer im Stande, morgen mit den Truppen abzusegeln?[353]

CAMBRONNE. Ja, Sire.

BERTRAND halb für sich. Was wird das?

NAPOLEON. Cambronne, morgen früh, fünf Uhr lassen Sie die Reveille schlagen.

CAMBRONNE. Welche? die alte, oder die neue?

NAPOLEON. Die von Jena!

CAMBRONNE. O, so stampft binnen sechs Wochen das Pferd jenes Reiters auf dem Pflaster von Paris.

DER POLNISCHE LEGIONSREITER. Es bäumt sich schon, General.

NAPOLEON. Es stampft da früher: am 20. März, dem Geburtstag meines Sohns.

BERTRAND. Campbell aber mit dem englischen Geschwader?

NAPOLEON. Hindert uns nicht. Ich hab ihn nach Livorno locken lassen, dort die Merkwürdigkeiten zu besehen, und heut abend zecht er daselbst Madeira mit einigen seiner Landsleute, die nicht wissen, wie sie verleitet sind, ihn einladen zu lassen, so wenig als er weiß, warum er eigentlich eingeladen ist – O das Gepack!

DER OFFIZIER. Also da, der ersehnte, der große Augenblick!

ALLE ANWESENDEN. Es lebe der Kaiser!

BERTRAND zu dem Offizier. Wieviel haben wir gesprochen, Er Selbst mit, und Er hat alles getan, ehe wir sprachen.

DER OFFIZIER. Er ist groß und gütig – ist ein Gott.

NAPOLEON gegen das Meer gewendet. Amphitrite, gewaltige, blauäugige Jungfrau, – schon lange läßt du mich umsonst um dich buhlen, – ich soll dir schmeicheln, und ich möchte doch lieber als Mann mit Waffen dich den Händen der Krämer entringen, die dich, o Göttin, mit der Elle messen und zur Sklavin machen wollen, – aber ich weiß, du liebst ihn doch, den Sohn der Revolution, – einst vergaßest du deine Launen und trugst ihn mit sichren Armen von den Pyramiden nach dem kleinen Glockenturm von Fréjus, – morgen trägst du mich von Elba noch einmal dahin. – Amphitrite, schlummre süß.


Alle ab.
[354]

Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 2, Emsdetten 1960–1970, S. 348-355.
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