Siebente Szene

[457] Blachfeld auf der anderen Seite des Hauses Belle Alliance.

Napoleon, mit Bertrand und Offizieren, zu Fuß, – zwei Schwadrone der Gardegrenadiere in geschlossener Ordnung zur Bedeckung um sie, und Cambronne mit dem Überbleibsel der Granitkolonne von Marengo hinter ihnen.


NAPOLEON. Wir müssen hier mitten durch das Feld zurück, – die Chaussee ist zerfahren und überdem von den Preußen erstürmt – – Der Abend wird kalt – Meinen Mantel und mein Pferd.


Bertrand hängt ihm den Mantel um, – ein Pferd wird vorgeführt.


Solch eine Flucht kennt die Geschichte nicht – Verräterei, Zufall und Mißgeschick machen das tapferste Heer furchtsamer als ein Kind – Es ist aus – Wir haben seit Elba etwa hundert Tage groß geträumt. – – Bertrand, was ist? Du schweigst?

BERTRAND. Sire – sprechen – jetzt – – – o Gott! – Sieh diese Gardegrenadiere – Congreven lodern in ihren Reihen, und sie schweigen doch! – – Nur eines, du in dessen Ruhmesglanz ich einzig lebte, sei billig, laß mich auch auf ewig dein künftiges Unglück teilen.


Er fällt dem Kaiser zu Füßen.


NAPOLEON. Steh auf – du brichst mit mir das Brot des Elendes. – Aber deine Frau?

BERTRAND. Sire, sie wird dir in Tränen danken wie ich!

NAPOLEON zurückblickend. Da stürzen die feindlichen Truppen siegjubelnd heran, wähnen die Tyrannei vertrieben, den ewigen Frieden erobert, die goldne Zeit rückgeführt zu haben – Die Armen! Statt eines großen Tyrannen, wie sie mich zu nennen belieben, werden sie bald tausend kleine besitzen, – statt ihnen ewigen Frieden zu geben, wird man sie in einen ewigen Geistesschlaf einzulullen versuchen, – statt der goldnen Zeit, wird eine sehr irdene, zerbröckliche kommen, voll Halbheit, albernen Lugs und Tandes, – von gewaltigen Schlachttaten und Heroen wird man freilich nichts hören, desto mehr aber von diplomatischen Assembléen, Konvenienzbesuchen hoher Häupter, von Komödianten, Geigenspielern und Opernhuren – – bis der[457] Weltgeist ersteht, an die Schleusen rührt, hinter denen die Wogen der Revolution und meines Kaisertumes lauern, und sie von ihnen aufbrechen läßt, daß die Lücke gefüllt werde, welche nach meinem Austritt zurückbleibt.

CAMBRONNE. Mein Kaiser, gegenüber nahen die Engländer, seitwärts die Preußen – Es ist Zeit, daß du fliehest, oder daß –

NAPOLEON. Oder?

CAMBRONNE. Imperator, falle!

NAPOLEON. General, mein Glück fällt – Ich falle nicht.

CAMBRONNE. Verzeihung, Kaiser! Du hast recht!

NAPOLEON. Den Mantel mir fester zugemacht. – Es regnet immer stärker. – – Bertrand, besteig ein Pferd, – tun Sie ebenso meine Herren Offiziere. – Reitende Gardegrenadiere, bahnt uns den Weg! – Granitkolonne, lebe wohl!


Er, Bertrand, die ihn begleitenden Offiziere sind zu Pferd gestiegen und reiten mit den Gardegrenadieren fort.


CAMBRONNE. Er ist fort – Was will der andere Dreck, den man Erde, Stern oder Sonne nennt, noch bedeuten? – Er hat uns »lebe wohl« gesagt, und leicht das Auge gewischt – Das heißt: sterbt meiner würdig, es geht nicht anders. – Also, Kameraden, die Schnurrbärte hübsch zurechtgedreht – bald sind wir im Himmel oder in der Hölle, und ein braver Franzose erscheint im Himmel wie in der Hölle geputzt!


Englische und preußische Reiterei von allen Seiten.


Seht ihr, wie unsere Spediteure uns umdrängen! – Also, Tambour, tüchtig auf dein Kalbsfell geschlagen – Bedenke, von all den hunderttausend Trommeln, die in den glorreichen Feldzügen des Kaisers erklangen, ist die deinige die letzte! – Und schlage lustig, – auch dazu hast du Grund, – du quälst dich mit Trommelschlag fortan nicht wieder!


Der Tambour trommelt ununterbrochen laut und kräftig darauf los.


Schießt!

EIN ENGLISCHER DRAGONEROFFIZIER. Unsinnige, laßt das Schießen –

CAMBRONNE. Schießt!

DER DRAGONEROFFIZIER. – ihr entkommt doch nicht –

CAMBRONNE. Schießt![458]

DER DRAGONEROFFIZIER. Wahnsinniges Volk – Ergebt euch!

CAMBRONNE. Laffe, die Garde stirbt, aber sie ergibt sich nicht! – Schießt solang ihr atmet!

ENGLISCHE UND PREUSSISCHE REITEREI einhauend. Nieder die grauen Trabanten des Tyrannen!

CAMBRONNE. Nieder –? Granitkolonne, hoch und stolz wie die Sonne, und gefallen herrlich wie sie!

DIE GRANITKOLONNE. Schon gut – sieh nur –


Die Granitkolonne samt Cambronne wird nach verzweifeltem Kampfe zusammengehauen. Die alliierte Reiterei rückt weiter, andere englische und preußische Truppen gleichfalls.


BLÜCHER mit Gneisenau und Gefolge heransprengend. Wo mein großer Waffenbruder von Saint Jean?

GNEISENAU. Da kommt er!

HERZOG VON WELLINGTON heransprengend. Guten Abend, Feldmarschall!

BLÜCHER. Herzog, der Abend ist des Tages wert!

HERZOG VON WELLINGTON. Die Hand her, Helfer in der Not!

BLÜCHER. Zum »schönen Bunde«, wie der Ort hier heißt! – – Engländer, Preußen, Gemeine, Generale, Unteroffiziere – ich kann nicht weiterrücken bis ich mir die Brust gelüftet, meine Feldmütze abgezogen, und euch gesagt habe: ihr alle, alle seid meine hochachtbaren Waffengefährten, gleich brav in Glück und Not – Wird die Zukunft eurer würdig – Heil dann! – Wird sie es nicht, dann tröstet euch damit, daß eure Aufopferung eine bessere verdiente! – – Wellington, laß deine Leute etwas rasten, – sie hatten heute die drückendste Arbeit – Dafür übernehmen wir so eifriger die Verfolgung, und verlaß dich darauf, sie soll unseren Sieg vollenden, wie noch keinen anderen! – Vorwärts, Preußen!

Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 2, Emsdetten 1960–1970, S. 457-459.
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