Rhampsenit

[7] Als der König Rhampsenit

Eintrat in die goldne Halle

Seiner Tochter, lachte diese,

Lachten ihre Zofen alle.


Auch die Schwarzen, die Eunuchen,

Stimmten lachend ein, es lachten

Selbst die Mumien, selbst die Sphinxe,

Daß sie schier zu bersten dachten.


Die Prinzessin sprach: »Ich glaubte

Schon, den Schatzdieb zu erfassen,

Der hat aber einen toten

Arm in meiner Hand gelassen.


Jetzt begreif ich, wie der Schatzdieb

Dringt in deine Schatzhauskammern,[7]

Und die Schätze dir entwendet,

Trotz den Schlössern, Riegeln, Klammern.


Einen Zauberschlüssel hat er,

Der erschließet allerorten

Jede Türe, widerstehen

Können nicht die stärksten Pforten.


Ich bin keine starke Pforte,

Und ich hab nicht widerstanden,

Schätzehütend diese Nacht

Kam ein Schätzlein mir abhanden.«


So sprach lachend die Prinzessin,

Und sie tänzelt im Gemache,

Und die Zofen und Eunuchen

Hoben wieder ihre Lache.


An demselben Tag ganz Memphis

Lachte, selbst die Krokodile

Reckten lachend ihre Häupter

Aus dem schlammig gelben Nile,


Als sie Trommelschlag vernahmen

Und sie hörten an dem Ufer

Folgendes Reskript verlesen

Von dem Kanzeleiausrufer:


»Rhampsenit, von Gottes Gnaden

König zu und in Ägypten,

Wir entbieten Gruß und Freundschaft

Unsern Vielgetreun und Liebden.


In der Nacht vom dritten zu dem

Vierten Junius des Jahres

Dreizehnhundertvierundzwanzig

Vor Christi Geburt, da war es,
[8]

Daß ein Dieb aus unserm Schatzhaus

Eine Menge von Juwelen

Uns entwendet; es gelang ihm,

Uns auch später zu bestehlen.


Zur Ermittelung des Täters

Ließen schlafen wir die Tochter

Bei den Schätzen – doch auch jene

Zu bestehlen schlau vermocht er.


Um zu steuern solchem Diebstahl

Und zu gleicher Zeit dem Diebe

Unsre Sympathie zu zeigen,

Unsre Ehrfurcht, unsre Liebe,


Wollen wir ihm zur Gemahlin

Unsre einz'ge Tochter geben

Und ihn auch als Thronnachfolger

In den Fürstenstand erheben.


Sintemal uns die Adresse

Unsres Eidams noch zur Stunde

Unbekannt, soll dies Reskript ihm

Bringen Unsrer Gnade Kunde.


So geschehn den dritten Jänner

Dreizehnhundertzwanzigsechs

Vor Christi Geburt. – Signieret

Von Uns: Rhampsenitus Rex.«


Rhampsenit hat Wort gehalten,

Nahm den Dieb zum Schwiegersohne,

Und nach seinem Tode erbte

Auch der Dieb Ägyptens Krone.
[9]

Er regierte wie die andern,

Schützte Handel und Talente;

Wenig, heißt es, ward gestohlen

Unter seinem Regimente.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 7-10.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Romanzero
Romanzero
Romanzero
Romanzero (Dodo Press)
Romanzero
Romanzero

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon