Viertes Tableau

[92] Der Venusberg: ein unterirdischer Palast, dessen Architektur und Ausschmückung im Geschmack der Renaissance, nur noch weit phantastischer und an arabische Feenmärchen erinnernd. Korinthische Säulen, deren Kapitäler sich in Bäume verwandeln und Laubgänge bilden. Exotische Blumen in hohen Marmorvasen, welche mit antiken Basreliefs geziert. An den Wänden Gemälde, wo die Liebschaften der Venus abgebildet. Goldne Kandelaber und Ampeln verbreiten ein magisches Licht, und alles trägt hier den Charakter einer zauberischen Üppigkeit. Hie und da Gruppen von Menschen, welche müßig und nachlässig am Boden lagern oder bei dem Schachbrett sitzen. Andere schlagen Ball oder halten Waffenübungen und Scherzgefechte. Ritter und Damen ergehen sich paarweis in galanten Gesprächen. Die Kostüme dieser Personen sind aus den verschiedensten Zeitaltern, und sie selber sind eben die berühmten Männer und Frauen der antiken und mittelalterlichen Welt, die der Volksglaube, wegen ihres sensualistischen Rufes oder wegen ihrer Fabelhaftigkeit, in den Venusberg versetzt hat. Unter den Frauen sehen wir z.B. die schöne Helena von Sparta, die Königin von Saba, die Kleopatra, die Herodias, unbegreiflicherweise auch Judith, die Mörderin des edlen Holofernes, dann auch verschiedene Heldinnen der bretonischen Rittersagen. Unter den Männern ragen hervor: Alexander von Mazedonien, der Poet Ovidius, Julius Cäsar, Dieterich von Bern,[92] König Artus, Ogier der Däne, Amadis von Gallien, Friedrich der Zweite von Hohenstaufen, Klingsohr von Ungerland, Gottfried von Straßburg und Wolfgang Goethe. Sie tragen alle ihre Zeit- und Standestracht, und es fehlt hier nicht an geistlichen Ornaten, welche die höchsten Kirchenämter verraten.

Die Musik drückt das süßeste Dolcefarniente aus, geht aber plötzlich über in die wollüstigsten Freudenlaute. Dann erscheint Frau Venus mit dem Tannhäuser, ihrem Cavaliere servente. Diese beiden, sehr entblößt und Rosenkränze auf den Häuptern, tanzen ein sehr sinnliches Pas de deux, welches schier an die verbotensten Tänze der Neuzeit erinnert. Sie scheinen sich im Tanze zu zanken, sich zu verhöhnen, sich zu necken, sich mit Verspottung den Rücken zu kehren und unversehens wieder vereinigt zu werden durch eine unverwüstliche Liebe, die aber keineswegs auf wechselseitiger Achtung beruht. Einige andere Personen schließen sich dem Tanz jener beiden an, in ähnlich ausgelassener Weise, und es bilden sich die übermütigsten Quadrillen.

Diese tolle Lust wird aber plötzlich unterbrochen. Schneidende Trauermusik erschallt. Mit aufgelöstem Haar und den Gebärden des wildesten Schmerzes stürzt herein die Göttin Diana, und hinter ihr wandeln ihre Nymphen, welche die Leiche des Ritters tragen. Letztere wird in der Mitte der Szene niedergesetzt, und die Göttin legt ihr mit liebender Sorgfalt einige seidene Kissen unter das Haupt. Diana tanzt ihren entsetzlichen Verzweiflungstanz, mit allen erschütternden Kennzeichen einer wahren tragischen Leidenschaft, ohne Beimischung von Galanterie und Laune. Sie beschwört ihre Freundin Venus, den Ritter vom Tode zu erwecken. Aber jene zuckt die Achsel, sie ist ohnmächtig gegen den Tod. Diana wirft sich wie wahnsinnig auf den Toten und benetzt mit Tränen und Küssen seine starren Hände und Füße.

Es wechselt wieder die Musik, und sie verkündet Ruhe und harmonische Beseligung. An der Spitze der Musen erscheint, zur linken Seite der Szene, der Gott Apollo. Aufs neue wechselt die Musik; bemerkbar wird ihr Übergang in jauchzende[93] Lebensfreude, und zur rechten Seite der Szene erscheint Bacchus nebst seinem bacchantischen Gefolge. Apollo stimmt seine Leier, und spielend tanzt er nebst den Musen um die Leiche des Ritters. Bei dem Klange dieser Töne erwacht dieser gleichsam wie aus einem schweren Schlafe, er reibt sich die Augen, schaut verwundert umher, fällt aber bald wieder zurück in seine Todeserstarrung. Jetzt ergreift Bacchus eine Handpauke, und im Gefolge seiner rasendsten Bacchanten umtanzt er den Ritter. Es erfaßt eine allmächtige Begeisterung den Gott der Lebenslust, er zerschlägt fast das Tamburin. Diese Melodien wecken den Ritter wieder aus dem Todesschlaf, und er erhebt sich halben Leibes, langsam, mit lechzend geöffnetem Munde. Bacchus läßt sich von Silen einen Becher mit Wein füllen und gießt ihn in den Mund des Ritters. Kaum hat dieser den Trank genossen, als er wie neugeboren vom Boden emporspringt, seine Glieder rüttelt und die verwegensten und berauschtesten Tänze zu tanzen beginnt. Auch die Göttin ist wieder heiter und glücklich, sie reißt den Thyrsus aus den Händen einer Bacchantin und stimmt ein in den Jubel und Taumel des Ritters. Die ganze Versammlung nimmt teil an dem Glücke der Liebenden und feiert in wieder fortgesetzten Quadrillen das Fest der Auferstehung. Beide, der Ritter und Diana, knien am Ende nieder zu den Füßen der Frau Venus, die ihren eignen Rosenkranz auf das Haupt Dianas und Tannhäusers Rosenkranz auf des Ritters Haupt setzt. Glorie der Verklärung.[94]

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 7, Berlin und Weimar 21972.
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Die Göttin Diana
Sämtliche Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Düsseldorfer Ausgabe / Elementargeister. Die Göttin Diana. Der Doktor Faust. Die Götter im Exil: Text und Apparat
Heinrich Heine's Gesammelte Werke: Bd. Zur Geschichte Der Religion Und Philosophie in Deutschland. Die Romantische Schule. Elementargeister. Doktor . Im Exil. Die Göttin Diana (German Edition)