Erster Brief.

An den Herrn Meyer. Abzugeben in Göttingen.

Hamburg den 9ten Jenner 1771.


Ich schreibe Ihnen auf Geheiß des guten Baron Leidthals, der so zerstreuet und niedergeschlagen ist, daß ich sehr fürchte, die Last von Unruhe und Kummer, welche er seit einem Jahre hat tragen müssen, wird Einfluß auf seine Gesundheit haben.

Wo sind Sie denn jetzt? Mögten Sie doch, wenn Sie diesen Brief bekommen, den jungen Hohenau gefunden haben! Aber wer weiß, wo Sie umherstreifen müssen, den[1] brausenden Jüngling zu suchen, der uns Allen so viel Sorge macht?

Ich bekenne es gern, wenn es von mir abhienge, ich wäre ihm längst nicht mehr nachgelaufen. Die Vorsehung sorgt für ihn, und wenn er sehen wird, daß es in der würklichen Welt ganz anders aussieht, als in einem empfindsamen Roman; so wird er schon zurückkehren, und vielleicht noch einst ein nützlicher Mann werden.

Wehe denen Schriftstellern, welche die Phantasie unserer jungen Leute durch wildes Feuer entzünden, ihre Sinne so reitzbar machen, daß sie den Boden, worauf sie treten, für glühend halten, und bey jedem Fußtritte laut schreyen! Da versengt dann der zehrende Blick eines solchen Schwärmers die schönsten Fluhren um ihn her.

Der Grund zu diesem Unglücke wird aber schon in der Schule gelegt, wo man uns[2] diese Welt als ein Jammerthal vorstellt, in welches der Schöpfer uns nur gesetzt hätte, um zu versuchen, ob wir auch Prüfung ertragen könnten – Elender, den Allgütigen entehrender Gedanke! – So werden wir gewöhnt, über alle Seligkeit dieser Welt hinweg, in ein fernes Vaterland zu schielen, und undankbar die mütterliche Erde mit Füssen zu treten. Meiner Meinung nach sollte der Mensch ganz anders unterrichtet werden. Ehe die Begierden zu heftig, die Einbildungskräfte zu lebhaft werden, sollte man ihm die Schätze dieser Welt in ihrer ganzen Annehmlichkeit vor Augen stellen, damit er früh diesen blendenden Glanz ertragen lernte, aber auch eben so früh sollte er gewöhnt werden, Schmerz zu leiden. Mit einem Worte, man sollte ihn unterrichten, das vielfache Gute, welches wir in dieser irdischen Wohnung schmecken können, recht herzlich fröhlich, aber mäßig und dankbar geniessen, die kleinen Ungemächlichkeiten aber, die ihm aufstoßen, für das zu halten, was[3] sie sind, für unvermeidliche Folgen unserer eigenen Abweichungen vom graden Wege, und für Glieder in der Kette der Begebenheiten. Und erst dann, wenn er diese Welt recht kennte, recht leben und geniessen gelernt, und sich also zu einem nützlichen Bürger einer bessern Welt gebildet hätte, erst dann sollte es ihm erlaubt seyn, sich eine seligere Zukunft zu wünschen.

Allein von wahrem Genusse und weiser Anwendung dieses Lebens wird uns in der Jugend sehr wenig, und dies Wenige sehr trocken gesagt. Man fühlt dann bald, daß es unvernünftig seyn würde zu glauben, der gute Schöpfer habe uns funfzig Jahre des Jammers bestimmt. Wenn nun das Alter der Wünsche und des Verlangens herantritt, dann angelt der Jüngling nach Freuden, die er nicht geniessen gelernt hat. Aber er hat auch das Ungemach nicht wahrhaftig ertragen, sondern nur mit kaltem moralischen Lumpengewebe überspinnen gelernt. Er ist[4] in diese Welt so neu als möglich. Kömmt er nun in eine Lage, wo so viel unbekannte Gegenstände auf seine Sinne würken, daß er sich im übermäßigen Genusse derselbe berauscht, und nachher dafür leiden muß, oder versagt ihm das Schicksal manches eitlen Wunsches Gewährung, ja! dann muß der Himmel die Schuld tragen; Er murrt gegen die Vorsehung, und wünscht sich in eine andre Welt.

Hier kommen ihm unsere neueren Schriftsteller herrlich zu Hülfe. Die liefern ihm Ideale nach seinem Herzen, und unterhalten seine elende Schwärmerey. Da winselt ein jämmerlicher, in der bürgerlichen Welt unnützer Müßiggänger ihm, von seinem Dachstübchen herunter, Klagelieder über die undankbare Welt entgegen – Dann geht erst das rechte Unglück an. Er glaubt, hier sey nun einmal nichts mehr für ihn zu thun, also handelt er wie ein Rasender, und wird, ehe er Mann ist, schon ein unnützer[5] Bürger – Ins Zuchthaus mit solchen Schriftstellern!

Ueberhaupt! Wäre denn gar kein Mittel dem unseligen Bücherschreiben Grenzen zu setzen? Die Wissenschaften sind nun einmal eine res communis geworden; Indessen liesse sich viel darüber sagen, ob es nicht besser wäre, wenn sie, wie ehemals in Egypten und andern Ländern, das Monopolium eines gewissen Standes würden? Dies ist freylich ohngefehr der nemliche Streit, als: ob es gut sey die Zünfte aufzuheben oder nicht? Es ist wahr, wenn man keine Zünfte hat; so gilt der privilegirte Pfuscher nichts, und der Mann von Verdienst gewinnt. Aber ist nicht der Schaden eben so groß, wenn jeder Pfuscher arbeiten darf, was er will? Wer hält sich nicht für berufen, ein Handwerk, das er liebt, zu treiben? und indeß er, wenn er schlechte Arbeit macht, betteln muß; so verliehrt doch der Staat den Mann, der etwas, wozu er gebohren wäre, unterdessen[6] treiben könnte. Er wird nie seine Ungeschicklichkeit, sondern die Undankbarkeit des Publicums anklagen. Darüber also sollen die Zünfte wachen, daß niemand sich zu einer Lebensart dränge, zu welcher ihn die Natur nicht berufen hat. Ob dies mit der Gelehrsamkeit und dem Geniewesen so angehe, ob es nicht zu Mißbräuchen und Unterdrückung Anlaß geben würde, das kann ich nicht untersuchen. Aber dazu liessen sich doch gewiß Anstalten treffen, daß nicht so viel jämmerliches Zeug dürfte gedruckt werden.

Könnte man nicht in jedem Lande eine Deputation von redlichen verständigen und uneigennützigen Männern dazu festsetzen? Ein Schriftsteller müßte sein Manuscript dahin, ohne sich zu nennen, abliefern: Aber auch die Männer, aus denen die Deputation bestünde, müßten dem Namen nach unbekannt bleiben. Es würde untersucht, ob das Buch irgend etwas enthielte, das sittlichen Nutzen[7] bringen könnte. Wäre es so beschaffen; so würde nicht nur die Herausgabe desselben erlaubt, sondern auch der Verfasser auf alle Art unterstützt, und sein Fleiß belohnt, damit er nicht von einem geizigen Buchhändler abhienge. Würde aber die Schrift verworfen, oder als gänzlich elend erkannt; so bliebe noch dem Verfasser das Recht zu appelliren übrig, um sich nicht über Partheylichkeit beklagen zu können. Es müßte ihm erlaubt seyn, seine Handschrift an zwey Deputationen in zwey andern Ländern zu schicken. Hätten nun unter diesen drey Richtstühlen, zwey vor oder gegen die Sache gesprochen; so müßte er sich dem Ausspruche unterwerfen, und wenn nachher noch etwas von der Art ohne Erlaubniß gedruckt worden wäre; so würde der Verfasser in öffentlichen Zeitungen beschimpft, oder des Landes verwiesen.

Diese Einrichtung würde nicht die Gebrechen der gewöhnlichen Büchercensuren haben, und die Deputirten dürften auch nur[8] über gewisse Arten Schriften richten. Wollte aber jemand etwas gegen die Regierung oder dergleichen schreiben; so müßte es ihm durchaus erlaubt seyn, in so fern der Name des Verfassers vor dem Werke stünde, denn solche Schriften stiften, wenn sie Wahrheiten enthalten, mehrentheils Nutzen, und schaden, wenn es Verläumdungen sind, nur dem Verfasser.

Doch, was ermüde ich Sie jetzt, zur ungelegenen Zeit, mit meinen Träumereyen? Ich will Ihnen lieber Nachricht von unserer Art zu leben geben.

Wir zogen, wie Sie wissen, im vorigen Monate hierher. Es war eine traurige Scene, als unser lieber Wohlthäter Urfstädt verlassen mußte. Lassen Sie mich darüber schweigen. Gewiß wird er noch lange in dem Herzen seiner ehemaligen treuen Unterthanen gegenwärtig seyn. Wie manchem Redlichen hat er dort großmüthig geholfen, wie manche[9] Thräne getrocknet! – Der Herr von Mallitz hat wenige Tage nachher, wie man uns schrieb, Besitz von seinem Hause genommen, und ob er es gefühlt hat weiß ich nicht, aber gewiß hat, ausser ein Paar eigennützigen Schmeichlern, kein Einziger den Tag seines Einzugs gesegnet, kein Herz ihm entgegen geschlagen.

Wir bewohnen hier das mittelste Stockwerk eines artigen Hauses. Der Baron Leidthal geht wenig aus, und ich leiste ihm beständig Gesellschaft. Noch haben wir nicht viel Bekanntschaft gemacht, obgleich ich sehr wünschte, daß unser guter Herr es doch versuchen mögte, sich ein wenig zu zerstreuen, denn der Kummer nagt unaufhörlich an ihm – Sein lieber Carl schwebt immer vor seinen Augen.

Wären wir nicht in diese Traurigkeit versenkt; so würden wir hier sehr glücklich leben. Der Verlust des Reichthums ist bald verschmerzt, sobald man nicht Mangel leidet,[10] und das Leben in einer freyen Reichsstadt hat etwas sehr aufmunterndes. Man sieht da die Menschen mehr ihrem Instincte folgen, statt daß in einer Residenz sich alles nach dem Ton stimmt, den der Fürst angiebt, und der oft, wenn das Unglück etwa einen schlechten Menschen auf den Thron geklebt hat, wie es denn zuweilen der Fall ist, äusserst elend ist. Und dann wird alles durch die schändlichen Triebfedern des Hofinteresse gezogen. Verzehre ich nicht Geld genug im Lande, oder ersetze diesen Mangel nicht durch Wind und Ränke; Gefällt meine Wenigkeit dem Minister oder dem Schuputzer (wer denn grade der Liebling ist) nicht, und dieser gnädige Herr äussert sich darüber gegen jemand; so bin ich in der ganzen Stadt mit einer Art von Infamie bedeckt.

Nein! Man sage was man will gegen die Reichsstädte; Hier sind wohl auch kleine Verhältnisse, wie aller Orten, wo der Mächtige den Schwächern zurückdrängen kann,[11] aber doch sind, wenn ich mich sonst ruhig halte, mein Vermögen, mein Ruf, mein Glück, meine Ruhe nicht das Spiel der Willkühr eines schlechten oder schwachen Menschen, und ich finde immer einen kleinen Circul von Freunden, in deren Umgange ich alle Verderbnisse der Welt vergessen kann.

Es herrscht hier in Hamburg auch sehr viel Aufklärung, wahrer Geschmack an Wissenschaften und Künsten, eine vernünftige Gleichhaltung der Stände, und ein sehr angenehmer, zutraulicher Ton in Gesellschaften. Mein Nachbar controlirt nicht mein Hauswesen; Man erlaubt mir zu leben, mich zu tragen, wie ich will; die jungen Leute sind bescheiden, gefällig und sittsam. Man hört wenig Persiflage. Es ist viel Familienband, viel häusliche Glückseligkeit unter den Leuten, und endlich hat man ja die Wahl unter einer großen Menge Menschen aller Art, denn allgemein paßt freylich das Gemälde nicht auf das Hamburger Publicum.


[12] Den 10ten.


Ich war heute einige Augenblicke auf dem Baumhause. Welch' ein herrlicher Augenblick von da hinunter die mit Schiffen beladene Elbe und so viel geschäftige Leute zu sehen! Unter dem Gewühle von fremden Kaufleuten dachte ich jemand anzutreffen, der aus dortigen Gegenden käme, und mir vielleicht Nachricht von dem Herrn von Hohenau geben könnte, aber vergebens. Indessen habe ich einen alten Freund gefunden, den Herrn Bellojoco, der aus Schweden kömmt, und morgen früh nach Mannheim abreiset. Er wird diesen Brief in Göttingen abgeben.

Eben habe ich unsern armen Herrn noch einmal gesprochen. Er bittet Sie durch mich, während Ihrer Nachforschungen Ihr Glück nicht zu versäumen. Man erwartet Sie in Dresden, wo Sie so dringend empfohlen sind, daß es Ihnen gewiß nicht mislingen wird, wenn nur das Eisen geschmiedet wird, weil es warm ist.[13]

Wir umarmen Sie in Gedanken – O! mögten wir gute Nachrichten von Ihnen erfahren! Ich bin ewig


der Ihrige

Müller.[14]

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 3, Riga 1781–1783, S. 1-15,17-18.
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