Achter Auftritt


[533] Henriette. Lisette. Theophan.


HENRIETTE. Nun? Theophan, habe ich Sie nicht zu einem artigen Anblicke verholfen?

THEOPHAN. Sie sind leichtfertig, schöne Henriette. Aber was meinen Sie für einen Anblick? Kaum daß ich die Hauptsache mit Mühe und Not begriffen habe.

HENRIETTE. O Schade! – Sie kamen also zu langsam? und Adrast lag nicht mehr vor meiner Schwester auf den Knieen?

THEOPHAN. So hat er vor ihr auf den Knieen gelegen?

LISETTE. Leider für Sie alle beide!

HENRIETTE. Und meine Schwester stand da, – – ich kann es Ihnen nicht beschreiben, – – stand da, fast, als wenn sie ihn in dieser unbequemen Stellung gerne gesehen hätte. Sie tauern mich, Theophan! – –

THEOPHAN. Soll ich Sie auch betauren, mitleidiges Kind?

HENRIETTE. Mich betauren? Sie sollen mir Glück wünschen.

LISETTE. Aber nein; so etwas schreit um Rache!

THEOPHAN. Und wie meint Lisette denn, daß man sich rächen könne?

LISETTE. Sie wollen sich also doch rächen?

THEOPHAN. Vielleicht.

LISETTE. Und Sie sich auch, Mamsell?

HENRIETTE. Vielleicht.

LISETTE. Gut! das sind zwei Vielleicht, womit sich etwas anfangen läßt.

THEOPHAN. Aber es ist noch sehr ungewiß, ob Juliane den Adrast wieder liebt; und wenn dieses nicht ist, so würde ich zu zeitig auf Rache denken.[533]

LISETTE. O! die christliche Seele! Nun überlegt sie erst, daß man sich nicht rächen soll.

THEOPHAN. Nicht so spöttisch, Lisette! Es würde hier von einer sehr unschuldigen Rache die Rede sein.

HENRIETTE. Das meine ich auch; von einer sehr unschuldigen.

LISETTE. Wer leugnet das? von einer so unschuldigen, daß man sich mit gutem Gewissen darüber beratschlagen kann. Hören Sie nur! Ihre Rache, Herr Theophan, wäre eine männliche Rache, nicht wahr? und Ihre Rache, Mamsell Henriette, wäre eine weibliche Rache: eine männliche Rache nun, und eine weibliche Rache – – Ja! wie bringe ich wohl das Ding recht gescheut herum?

HENRIETTE. Du bist eine Närrin mit samt deinen Geschlechtern.

LISETTE. Helfen Sie mir doch ein wenig, Herr Theophan. – – Was meinen Sie dazu? Wenn zwei Personen einerlei Weg gehen müssen, nicht wahr? so ist es gut, daß diese zwei Personen einander Gesellschaft leisten?

THEOPHAN. Ja wohl; aber vorausgesetzt, daß diese zwei Personen einander leiden können.

HENRIETTE. Das war der Punkt!

LISETTE bei Seite. Will denn Keines anbeißen? Ich muß einen andern Zipfel fassen. – – Es ist schon wahr, was Herr Theophan vorhin sagte, daß es nämlich noch sehr ungewiß sei, ob Mamsell Juliane den Adrast liebe. Ich setze so gar hinzu: Es ist noch sehr ungewiß, ob Herr Adrast Mamsell Julianen wirklich liebt.

HENRIETTE. O schweig, du unglückliche Zweiflerin. Es soll nun aber gewiß sein!

LISETTE. Die Mannspersonen bekommen dann und wann gewisse Anfälle von einer gewissen wetterwendischen Krankheit, die aus einer gewissen Überladung des Herzens entspringt.

HENRIETTE. Aus einer Überladung des Herzens? Schön gegeben!

LISETTE. Ich will Ihnen gleich sagen, – was das heißt. So – wie Leute, die sich den Magen überladen haben, nicht eigentlich mehr wissen, was ihnen schmeckt, und was ihnen nicht schmeckt: so geht es auch den Leuten, die sich das[534] Herz überladen haben. Sie wissen selbst nicht mehr, auf welche Seite das überladene Herz hinhängt, und da trifft es sich denn wohl, daß kleine Irrungen in der Person daraus entstehen. – – Habe ich nicht Recht, Herr Theophan?

THEOPHAN. Ich will es überlegen.

LISETTE. Sie sind freilich eine weit bessere Art von Mannspersonen, und ich halte Sie für allzuvorsichtig, als daß Sie Ihr Herz so überladen sollten. – – Aber wissen Sie wohl, was ich für einen Einfall habe, wie wir gleichwohl hinter die Wahrheit mit dem Herrn Adrast und der Mamsell Juliane kommen wollen?

THEOPHAN. Nun?

HENRIETTE. Du würdest mich neugierig machen, wenn ich nicht schon hinter der Wahrheit wäre. – –

LISETTE. Wie? wenn wir einen gewissen blinden Lärm machten?

HENRIETTE. Was ist das wieder?

LISETTE. Ein blinder Lärm ist ein Lärm wohinter nichts ist; der aber doch die Gabe hat, den Feind – – zu einer gewissen Aufmerksamkeit zu bringen. – – Zum Exempel: Um zu erfahren, ob Mamsell Juliane den Adrast liebe, müßte sich Herr Theophan in jemand anders verliebt stellen; und um zu erfahren, ob Adrast Mamsell Julianen liebe, müßten Sie sich in jemand anders verliebt stellen. Und da es nun nicht lassen würde, wenn sich Herr Theophan in mich verliebt stellte, noch vielweniger, wenn Sie sich in seinen Martin verliebt stellen wollten: so wäre, kurz und gut, mein Rat, Sie stellten sich beide in einander verliebt. – – Ich rede nur von Stellen; merken Sie wohl, was ich sage! nur von Stellen; denn sonst könnte der blinde Lärm auf einmal Augen kriegen. – – Nun sagen Sie mir beide, ist der Anschlag nicht gut?

THEOPHAN bei Seite. Wo ich nicht gehe, so wird sie noch machen, daß ich mich werde erklären müssen. – – Der Anschlag ist so schlimm nicht; aber – –

LISETTE. Sie sollen sich ja nur stellen.

THEOPHAN. Das Stellen eben ist es, was mir dabei nicht gefällt.[535]

LISETTE. Und Sie, Mamsell?

HENRIETTE. Ich bin auch keine Liebhaberin vom Stellen.

LISETTE. Besorgen Sie beide etwa, daß Sie es zu natürlich machen möchten? – Was stehen Sie so auf dem Sprunge, Herr Theophan? Was stehen Sie so in Gedanken, Mamsell?

HENRIETTE. O! geh; es wäre in meinem Leben das erstemal.

THEOPHAN. Ich muß mich auf einige Augenblicke beurlauben, schönste Henriette. –

LISETTE. Es ist nicht nötig. Sie sollen mir wahrhaftig nicht nachsagen, daß ich Sie weg geplaudert habe. Kommen Sie, Mamsell! – –

HENRIETTE. Es ist auch wahr, dein Plaudern ist manchmal recht ärgerlich. Komm! – – Theophan, soll ich sagen, daß Sie nicht lange weg sein werden?

THEOPHAN. Wenn ich bitten darf. – –


Henriette und Lisette gehen auf der einen Seite ab. Indem Theophan auf der andern abgehen will, begegnet ihm der Wechsler.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 533-536.
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