Zehnter Auftritt


[770] Lionel. Johanna.


LIONEL.

Verfluchte, rüste dich zum Kampf- Nicht beide

Verlassen wir lebendig diesen Platz.

Du hast die Besten meines Volks getötet,

Der edle Talbot hat die große Seele

In meinen Busen ausgehaucht. – Ich räche

Den Tapfern oder teile sein Geschick.

Und daß du wissest, wer dir Ruhm verleiht,

Er sterbe oder siege – Ich bin Lionel,

Der letzte von den Fürsten unsers Heers,

Und unbezwungen noch ist dieser Arm.


Er dringt auf sie ein, nach einem kurzen Gefecht schlägt sie ihm das Schwert aus der Hand.


Treuloses Glück!


Er ringt mit ihr.


JOHANNA ergreift ihn von hinten zu am Helmbusch und reißt ihm den Helm gewaltsam herunter, daß sein Gesicht entblößt wird, zugleich zuckt sie das Schwert mit der Rechten.

Erleide, was du suchtest,

Die heilge Jungfrau opfert dich durch mich!


In diesem Augenblick sieht sie ihm ins Gesicht, sein Anblick ergreift sie, sie bleibt unbeweglich stehen und läßt dann langsam den Arm sinken.


LIONEL.

Was zauderst du und hemmst den Todesstreich? Nimm mir das Leben auch, du nahmst den Ruhm, Ich bin in deiner Hand, ich will nicht Schonung.


Sie gibt ihm ein Zeichen mit der Hand, sich zu entfernen.


Entfliehen soll ich? Dir soll ich mein Leben

Verdanken? – Eher sterben!

JOHANNA mit abgewandtem Gesicht.

Rette dich!

Ich will nichts davon wissen, daß dein Leben

In meine Macht gegeben war.

LIONEL.

Ich hasse dich und dein Geschenk – Ich will

Nicht Schonung – Töte deinen Feind, der dich

Verabscheut, der dich töten wollte.

JOHANNA.

Töte mich[770]

– Und fliehe!

LIONEL.

Ha! Was ist das?

JOHANNA verbirgt das Gesicht.

Weh mir!

LIONEL tritt ihr näher.

Du tötest, sagt man, alle Engelländer,

Die du im Kampf bezwingst – Warum nur mich

Verschonen?

JOHANNA erhebt das Schwert mit einer raschen Bewegung gegen ihn, läßt es aber, wie sie ihn ins Gesicht faßt, schnell wieder sinken.

Heilge Jungfrau!

LIONEL.

Warum nennst du

Die Heilge? Sie weiß nichts. von dir, der Himmel

Hat keinen Teil an dir.

JOHANNA in der heftigsten Beängstigung.

Was hab ich

Getan! Gebrochen hab ich mein Gelübde!


Sie ringt verzweifelnd die Hände.


LIONEL betrachtet sie mit Teilnahme und tritt ihr näher.

Unglücklich Mädchen! Ich beklage dich,

Du rührst mich, du hast Großmut ausgeübt

An mir allein, ich fühle, daß mein Haß

Verschwindet, ich muß Anteil an dir nehmen!

– Wer bist du? Woher kommst du?

JOHANNA.

Fort! Entfliehe!

LIONEL.

Mich jammert deine Jugend, deine Schönheit!

Dein Anblick dringt mir an das Herz. Ich möchte

Dich gerne retten – Sage mir, wie kann ichs!

Komm! Komm! Entsage dieser gräßlichen

Verbindung – Wirf sie von dir, diese Waffen!

JOHANNA.

Ich bin unwürdig, sie zu führen!

LIONEL.

Wirf

Sie von dir, schnell, und folge mir!

JOHANNA mit Entsetzen.

Dir folgen!

LIONEL.

Du kannst gerettet werden. Folge mir!

Ich will dich retten, aber säume nicht.

Mich faßt ein ungeheurer Schmerz um dich,

Und ein unnennbar Sehnen, dich zu retten –


Bemächtigt sich ihres Armes.[771]


JOHANNA.

Der Bastard naht! Sie sinds! Sie suchen mich!

Wenn sie dich finden –

LIONEL.

Ich beschütze dich!

JOHANNA.

Ich sterbe, wenn du fällst von ihren Händen!

LIONEL.

Bin ich dir teuer?

JOHANNA.

Heilige des Himmels!

LIONEL.

Werd ich dich wiedersehen? Von dir hören?

JOHANNA.

Nie! Niemals!

LIONEL.

Dieses Schwert zum Pfand, daß ich

Dich wiedersehe!


Er entreißt ihr das Schwert.


JOHANNA.

Rasender, du wagst es?

LIONEL.

Jetzt weich ich der Gewalt, ich seh dich wieder!


Er geht ab.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 770-772.
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