[140] Marquis von Posa kommt durch die Galerie. Carlos.
MARQUIS.
Karl! Karl!
CARLOS.
Wer ruft? Ah, du bists! Eben recht. Ich eile
Voraus ins Kloster. Komm bald nach.
Er will fort.
MARQUIS.
Nur zwo
Minuten – bleib.
CARLOS.
Wenn man uns überfiele –
MARQUIS.
Man wird doch nicht. Es ist sogleich geschehen.
Die Königin –
CARLOS.
Du warst bei meinem Vater?
MARQUIS.
Er ließ mich rufen; ja.
CARLOS voll Erwartung.
Nun?
MARQUIS.
Es ist richtig.
Du wirst sie sprechen.[140]
CARLOS.
Und der König? Was
Will denn der König?
MARQUIS.
Der? Nicht viel. – Neugierde,
Zu wissen, wer ich bin. – Dienstfertigkeit
Von unbestellten guten Freunden. Was
Weiß ich? Er bot mir Dienste an.
CARLOS.
Die du
Doch abgelehnt?
MARQUIS.
Versteht sich.
CARLOS.
Und wie kamt
Ihr auseinander?
MARQUIS.
Ziemlich gut.
CARLOS.
Von mir
War also wohl die Rede nicht?
MARQUIS.
Von dir?
Doch. Ja. Im allgemeinen.
Er zieht sein Souvenir heraus und gibt es dem Prinzen.
Hier vorläufig
Zwei Worte von der Königin, und morgen
Werd ich erfahren, wo und wie –
CARLOS liest sehr zerstreut, steckt die Schreibtafel ein und will gehen.
Beim Prior
Triffst du mich also.
MARQUIS.
Warte doch. Was eilst du?
Es kommt ja niemand.
CARLOS mit erkünsteltem Lächeln.
Haben wir denn wirklich
Die Rollen umgetauscht? Du bist ja heute
Erstaunlich sicher.
MARQUIS.
Heute? Warum heute?
CARLOS.
Und was schreibt mir die Königin?
MARQUIS.
Hast du
Denn nicht im Augenblick gelesen?
CARLOS.
Ich?
Ja so.
MARQUIS.
Was hast du denn? Was ist dir?[141]
CARLOS liest das Geschriebene noch einmal. Entzückt und feurig.
Engel
Des Himmels! Ja, ich will es sein – ich will –
Will deiner wert sein – Große Seelen macht
Die Liebe größer. Seis auch, was es sei.
Wenn du es mir gebietest, ich gehorche. –
Sie schreibt, daß ich auf eine wichtige
Entschließung mich bereiten soll. Was kann
Sie damit meinen? Weißt du nicht?
MARQUIS.
Wenn ichs
Auch wüßte, Karl – bist du auch jetzt gestimmt,
Es anzuhören?
CARLOS.
Hab ich dich beleidigt?
Ich war zerstreut. Vergib mir, Roderich.
MARQUIS.
Zerstreut? Wodurch?
CARLOS.
Durch – ich weiß selber nicht.
Dies Souvenir ist also mein?
MARQUIS.
Nicht ganz.
Vielmehr bin ich gekommen, mir sogar
Deins auszubitten.
CARLOS.
Meins? Wozu?
MARQUIS.
Und was
Du etwa sonst an Kleinigkeiten, die
In keines Dritten Hände fallen dürfen,
An Briefen oder abgerissenen
Konzepten bei dir führst – kurz, deine ganze
Brieftasche –
CARLOS.
Wozu aber?
MARQUIS.
Nur auf alle Fälle.
Wer kann für Überraschung stehn? Bei mir
Sucht sie doch niemand. Gib.
CARLOS sehr unruhig.
Das ist doch seltsam!
Woher auf einmal diese –
MARQUIS.
Sei ganz ruhig.
Ich will nichts damit angedeutet haben.
Gewißlich nicht. Es ist Behutsamkeit
[142] Vor der Gefahr. So hab ichs nicht gemeint,
So wahrlich nicht, daß du erschrecken solltest.
CARLOS gibt ihm die Brieftasche.
Verwahr sie gut.
MARQUIS.
Das werd ich.
CARLOS sieht ihn bedeutend an.
Roderich!
Ich gab dir viel.
MARQUIS.
Noch immer nicht so viel,
Als ich von dir schon habe – Dort also
Das übrige, und jetzt leb wohl – leb wohl!
Er will gehen.
CARLOS kämpft zweifelhaft mit sich selbst – endlich ruft er ihn zurück.
Gib mir die Briefe doch noch einmal. Einer
Von ihr ist auch darunter, den sie damals,
Als ich so tödlich krankgelegen, nach
Alkala mir geschrieben. Stets hab ich
Auf meinem Herzen ihn getragen. Mich
Von diesem Brief zu trennen, fällt mir schwer.
Laß mir den Brief – nur den – das übrige
Nimm alles.
Er nimmt ihn heraus und gibt ihm die Brieftasche zurück.
MARQUIS.
Karl, ich tu es ungern. Just
Um diesen Brief war mirs zu tun.
CARLOS.
Leb wohl!
Er geht langsam und still weg, an der Türe bleibt er einen Augenblick stehen, kehrt wieder um und bringt ihm den Brief.
Da hast du ihn.
Seine Hand zittert. Tränen stürzen aus seinen Augen, er fällt dem Marquis um den Hals und drückt sein Gesicht wider dessen Brust.
Das kann mein Vater nicht?
Nicht wahr, mein Roderich? Das kann er doch nicht?
Er geht schnell fort.[143]
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