Zweite Szene

[683] Sankt Albans.


Getümmel. Angriffe. Warwick tritt auf.


WARWICK.

Clifford von Cumberland, der Warwick ruft!

Und wenn du nicht dich vor dem Bären birgst,

Jetzt, da die zornige Trompete schmettert

Und Sterbender Geschrei die Luft erfüllt,

So sag' ich: Clifford, komm und ficht mit mir![683]

Du stolzer nord'scher Lord von Cumberland,

Warwick hat heiser sich an dir gerufen!


York tritt auf.


Was gibt's, mein edler Lord? Wie, so zu Fuß?

YORK.

Cliffords Vertilger-Hand erschlug mein Roß,

Doch tat ich Gleiches ihm um Gleiches an

Und machte sein geliebtes wackres Tier

Zur Beute für des Aases Kräh'n und Geier.


Clifford tritt auf.


WARWICK.

Die Stund' ist da für einen von uns beiden.

YORK.

Halt, Warwick! Such' dir einen andern Fang:

Ich selbst muß dieses Wild zu Tode jagen.

WARWICK.

Dann wacker, York! Du fichtst um eine Krone. –

So wahr ich, Clifford, heut Gedeihen hoffe,

Dich unbekämpft zu lassen, kränkt mein Herz.


Ab.


CLIFFORD.

Was siehst du, York, an mir? Was zauderst du?

YORK.

In dein mannhaftes Tun würd' ich verliebt,

Wärst du nicht mein so ausgemachter Feind.

CLIFFORD.

Auch deinem Mute würde Preis zu teil,

Wenn du nicht schimpflich im Verrat ihn zeigtest.

YORK.

So helf' er jetzt mir wider dies dein Schwert,

Wie ich bei Recht und Wahrheit ihn beweise!

CLIFFORD.

Ich setze Seel' und Leib an dieses Werk.

YORK.

Furchtbare Waage! Mach' dich gleich bereit


Sie fechten, und Clifford fällt.


CLIFFORD.

La fin couronne les œuvres.


Stirbt.


YORK.

Krieg gab dir Frieden nun, denn du bist still.

Mit deiner Seele Frieden, so Gott will!


Ab.


Der junge Clifford tritt auf.


CLIFFORD SOHN.

Scham und Verwirrung! Alles flüchtet sich;

Die Furcht schafft Unordnung, und statt zu schirmen,

Verwundet sie. O Krieg, du Sohn der Hölle,

Gebraucht zum Werkzeug von des Himmels Zorn!

Wirf in die frost'gen Busen unsers Volks

Der Rache heiße Kohlen! – Keiner fliehe:[684]

Wer wahrhaft sich dem Krieg gewidmet, hat

Selbstliebe nicht, und wer sich selbst noch liebt,

Führt nicht dem Wesen nach, zufällig nur,

Des Tapfern Namen. –


Er erblickt seinen toten Vater.


O ende, schnöde Welt!

Des Jüngsten Tags vorausgesandte Flammen,

Macht eins aus Erd' und Himmel!

Es blase die Gerichtstrompete nun,

Daß Unbedeutendheit und kleine Laute

Verstummen! – War's verhängt dir, lieber Vater,

In Frieden deine Jugend hinzubringen,

Des reifen Alters Silbertracht zu führen

Und in der Ehr' und Ruhe Tagen so

In wilder Schlacht zu sterben? – Bei dem Anblick

Versteinert sich mein Herz, und steinern sei's,

Solang' es mein ist! – York schont nicht unsre Greise:

Ich ihre Kinder nicht; der Jungfrau'n Tränen,

Sie sollen mir wie Tau dem Feuer sein,

Und Schönheit, die Tyrannen oft erweicht,

Soll Öl mir gießen in des Grimmes Flammen.

Ich will hinfort nichts von Erbarmen wissen;

Treff' ich ein Knäblein an vom Hause York,

Ich will's zerhauen in so viele Bissen,

Als am Absyrtus wild Medea tat:

Ich suche meinen Ruhm in Grausamkeit.

Komm, neue Trümmer von des alten Cliffords Haus!


Nimmt die Leiche auf.


So trug Aeneas einst den Greis Anchises,

So trag' ich dich auf meinen Mannesschultern.

Doch trug Aeneas da lebend'ge Last:

Nichts ist so schwer als dies mein Herzeleid.


Ab.

Richard Plantagenet und Somerset kommen fechtend, Somerset wird umgebracht.


RICHARD.

So, lieg' du da! –

Denn unter einer Schenke dürft'gem Schild,

Der Burg Sankt Albans, machte Somerset

Die Zauberin durch seinen Tod berühmt.[685]

Schwert, bleib' gestählt! Dein Grimm ist, Herz, vonnöten!

Für Feinde beten Priester, Prinzen töten.


Ab.


Getümmel. Angriffe. König Heinrich, Königin Margareta und andre kommen, auf dem Rückzuge begriffen.


KÖNIGIN.

So langsam, mein Gemahl! Fort! Schämt Euch! Eilt!

KÖNIG HEINRICH.

Entläuft man wohl dem Himmel? Beste, weilt!

KÖNIGIN.

Wie seid Ihr doch? Ihr wollt nicht fliehn noch fechten.

Jetzt ist es Mannheit, Weisheit, Widerstand,

Dem Feinde weichen und uns sicher stellen

Durch was wir können, und das ist nur Flucht.

Getümmel in der Ferne.


Wenn man Euch finge, säh'n wir auf den Boden

All unsers Glücks; allein entrinnen wir,

Wie, wenn nicht Ihr versäumt, wir leichtlich können,

So ist uns London nah, wo man Euch liebt;

Wo dieser Riß, in unser Glück gemacht,

Gar bald zu heilen ist.


Der junge Clifford tritt auf.


CLIFFORD SOHN.

Wär' nicht mein Herz gestellt auf künftig Unheil,

Gott wollt' ich lästern, eh' ich fliehn Euch hieße.

Doch müßt Ihr fliehn: unheilbare Verwirrung

Regiert im Herzen unsers ganzen Heers.

Fort, Euch zu retten! Und ihr Los erleben

Einst wollen wir und ihnen unsres geben.

Fort, gnäd'ger Herr! Fort! Fort!


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 683-686.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Catharina von Georgien

Catharina von Georgien

Das Trauerspiel erzählt den letzten Tag im Leben der Königin von Georgien, die 1624 nach Jahren in der Gefangenschaft des persischen Schah Abbas gefoltert und schließlich verbrannt wird, da sie seine Liebe, das Eheangebot und damit die Krone Persiens aus Treue zu ihrem ermordeten Mann ausschlägt. Gryphius sieht in seiner Tragödie kein Geschichtsdrama, sondern ein Lehrstück »unaussprechlicher Beständigkeit«.

94 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon