Zweite Szene

[238] Vor Brutus' Zelte, im Lager nahe bei Sardes. Die Trommel gerührt.

Brutus, Lucilius, Lucius und Soldaten treten auf; Pindarus und Titinius kommen ihnen entgegen.


BRUTUS.

Halt!

LUCILIUS.

He! gebt das Wort und haltet!

BRUTUS.

Was gibt's, Lucilius? Ist Cassius nahe?

LUCILIUS.

Er ist nicht weit, und hier kommt Pindarus,

Im Namen seines Herrn Euch zu begrüßen.


Pindarus überreicht dem Brutus einen Brief.


BRUTUS.

Sein Gruß ist freundlich. Wißt, daß Euer Herr,

Von selbst verändert oder schlecht beraten,

Mir gült'gen Grund gegeben, ungeschehn

Geschehenes zu wünschen. Aber ist er

Hier in der Näh', so wird er mir genugtun.

PINDARUS.

Ich zweifle nicht, voll Ehr' und Würdigkeit

Wird, wie er ist, mein edler Herr erscheinen.

BRUTUS.

Wir zweifeln nicht an ihm. – Ein Wort, Lucilius!

Laßt mich erfahren, wie er Euch empfing!

LUCILIUS.

Mit Höflichkeit und Ehrbezeugung g'nug,

Doch nicht mit so vertrauter Herzlichkeit,

Nicht mit so freiem, freundlichem Gespräch,

Als er vordem wohl pflegte.

BRUTUS.

Du beschreibst,

Wie warme Freund' erkalten. Merke stets,

Lucilius, wenn Lieb' erkrankt und schwindet,

Nimmt sie gezwungne Höflichkeiten an.

Einfält'ge schlichte Treu' weiß nichts von Künsten;

Doch Gleisner sind wie Pferde, heiß im Anlauf;

Sie prangen schön mit einem Schein von Kraft;

Doch sollen sie den blut'gen Sporn erdulden,

So sinkt ihr Stolz, und falschen Mähren gleich

Erliegen sie der Prüfung. – Naht sein Heer?

LUCILIUS.

Sie wollten Nachtquartier in Sardes halten.

Der größte Teil, die ganze Reuterei,

Kommt mit dem Cassius.


Ein Marsch hinter der Szene.[238]


BRUTUS.

Horch! er ist schon da.

Rückt langsam ihm entgegen!


Cassius tritt auf mit Soldaten.


CASSIUS.

Halt!

BRUTUS.

Halt! Gebt das Befehlswort weiter!


Hinter der Szene: »Halt! – Halt! – Halt.« –


CASSIUS.

Ihr tatet mir zu nah, mein edler Brutus.

BRUTUS.

Ihr Götter, richtet! Tu' ich meinen Feinden

Zu nah' und sollt' ich's meinem Bruder tun?

CASSIUS.

Brutus, dies Euer nüchternes Benehmen

Deckt Unrecht zu, und wenn Ihr es begeht –

BRUTUS.

Seid ruhig, Cassius! Bringet leise vor,

Was für Beschwerd' Ihr habt: – Ich kenn' Euch wohl.

Im Angesicht der beiden Heere hier,

Die nichts von uns als Liebe sehen sollten,

Laßt uns nicht hadern! Heißt hinweg sie ziehn,

Führt Eure Klagen dann in meinem Zelt:

Ich will Gehör Euch geben.

CASSIUS.

Pindarus,

Heißt unsre Obersten ein wenig weiter

Von diesem Platz hinweg die Scharen führen!

BRUTUS.

Tut Ihr das auch, Lucilius! Laßt niemand,

Solang' die Unterredung dauert, ein.

Laßt Lucius und Titinius Wache stehn!


Alle ob.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 238-239.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Julius Cäsar
Julius Caesar Wordsworth classics
Julius Caesar by Shakespeare, William ( AUTHOR ) Apr-01-2011 Paperback
Julius Cäsar
Julius Caesar [Zweisprachig]
Julius Cäsar: Zweisprachige Ausgabe

Buchempfehlung

Hume, David

Dialoge über die natürliche Religion

Dialoge über die natürliche Religion

Demea, ein orthodox Gläubiger, der Skeptiker Philo und der Deist Cleanthes diskutieren den physiko-teleologischen Gottesbeweis, also die Frage, ob aus der Existenz von Ordnung und Zweck in der Welt auf einen intelligenten Schöpfer oder Baumeister zu schließen ist.

88 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon