Erste Szene

[944] Zimmer in Lucullus' Hause.


Flaminius; ein Diener kommt zu ihm.


DIENER. Ich habe dich bei meinem Herrn gemeldet, er wird gleich zu dir herunter kommen.

FLAMINIUS. Ich danke dir.


Lucullus tritt auf.


DIENER. Hier ist mein Herr.

LUCULLUS beiseit. Einer von Timons Dienern? Gewiß ein Geschenk. Ha ha, das trifft ein; mir träumte heute nacht von Silberbecken und Kanne. Laut. Flaminius, ehrlicher Flaminius: du bist ganz ausnehmend sehr willkommen. – Zum Diener. Geh, bring' Wein!


Diener geht ab.


Und was macht der hochachtbare, unübertreffliche, großmütige Ehrenmann Athens, dein höchst gütiger Herr und Gebieter?

FLAMINIUS. Seine Gesundheit ist gut, Herr.

LUCULLUS. Das freut mich recht, daß seine Gesundheit gut ist. Und was hast du da unter deinem Mantel, mein artiger Flaminius?

FLAMINIUS. Wahrlich, Mylord, nichts als eine leere Büchse, die ich Euer Gnaden für meinen Herrn zu füllen ersuche; er ist in den Fall gekommen, dringend und augenblicklich funfzig Talente zu brauchen, und schickt zu Euer Gnaden, ihm damit auszuhelfen; indem er durchaus nicht an Eurer schnellen Bereitwilligkeit zweifelt.[944]

LUCULLUS. La, la, er zweifelt nicht, sagst du? Ach, der gute? Lord! er ist ein edler Mann, wollte er nur nicht ein so großes Haus machen. Viel und oftmals habe ich bei ihm zu Mittag gespeist und es ihm gesagt; und bin zum Abendessen wieder gekommen, bloß in der Absicht, ihn zur Sparsamkeit zu bewegen: aber er wollte keinen Rat annehmen und sich durch mein wiederholtes Kommen nicht warnen lassen. Jeder Mensch hat seinen Fehler, und Großmut ist der seinige; das habe ich ihm gesagt, aber ich konnte ihn nicht davon zurück bringen.


Der Diener kommt mit Wein.


DIENER. Gnädiger Herr, hier ist der Wein.

LUCULLUS. Flaminius, ich habe dich immer für einen klugen Mann gehalten. Ich trinke dir zu.

FLAMINIUS. Euer Gnaden beliebt es so zu sagen.

LUCULLUS. Ich habe an dir immer einen raschen, auffassenden Geist bemerkt, – nein, es ist wirklich so –, und du weißt wohl, was vernünftiges Betragen ist; du bist der Zeit willfährig, wenn die Zeit dir willfährig ist: alles gute Eigenschaften. – Mach' dich davon, Mensch! Zum Diener, der abgeht – Tritt näher, ehrlicher Flaminius! Dein Herr ist ein wohlthätiger Mann; aber du bist klug, und weißt recht wohl, ob gleich du zu mir kommst, daß jetzt keine Zeit ist, um Geld auszuleihen; besonders auf bloße Freundschaft, ohne Sicherheit. Hier hast du drei Goldstücke für dich: guter Junge, drück' ein Auge zu, und sage, du habest mich nicht getroffen. Lebe wohl!

FLAMINIUS.

Ist's möglich? Hat die Welt sich so verwandelt,

Und wir dieselben lebend? – Niederträchtige

Gemeinheit, bleibe dem, der dich verehrt!


Indem er das Geld hinwirft.


LUCULLUS. Ha, ha! Nun sehe ich, du bist ein Narr, und schickst dich gut für deinen Herrn. Lucullus geht ab.

FLAMINIUS.

Nimm dies zu jenem Gold, das einst dich brennt!

Geschmolznes Gold sei dein Verdammungsspruch,

Du Krankheit eines Freunds, doch nicht ein Freund!

Hat Freundschaft solch ein schwaches Herz von Milch,[945]

Das in zwei Nächten umschlägt? Oh, ihr Götter!

Ich fühle meines Herren Zorn! Der Sklav'

Hat noch in sich zur Stunde Timons Mahl:

Wie soll es ihm gedeihn und Nahrung werden,

Wenn er sich selbst in Gift verwandelt hat?

Oh, möge Krankheit nur sich draus erzeugen!

Und, liegt er auf den Tod, der Nahrungsstoff,

Für den mein Herr bezahlte, o entart' er,

Vermehre Krankheit und die Todesmarter!


Geht ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 944-946.
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