Zweite Szene

[46] Zimmer in Titus' Hause.


Ein Bankett. Titus, Marcus, Lavinia und der junge Lucius, ein Knabe, treten auf.


TITUS.

So, so; nun sitzt; gebt acht und eßt nicht mehr,

Als was nur eben uns in Kraft erhält,[46]

Rache zu nehmen für dies bittre Weh.

Marcus, entknüpf' den gramgeschlungnen Knoten!

Der Nicht' und mir, uns Ärmsten, fehlen Hände,

Wir können nicht gebärden unsre Qual,

Die Arme kreuzend. Diese schwache Rechte

Blieb mir, tyrannisch meine Brust zu schlagen;

Und wenn mein Herz, von Jammer ganz verwirrt,

An dieses Fleisches hohlen Kerker klopft,

Dann stoß' ich's so hinab. –


Zu Lavinien.


Du Spiegel alles Wehs, in Zeichen redend,

Wenn dir dein Herz mit wildem Pochen stürmt,

Kannst du's durch Streiche nicht beruhigen!

Mit Seufzern triff, mit Ächzen töt' es, Kind,

Fass' dir ein spitzig Messer mit den Zähnen,

Und bohr' am Herzen eine Wunde dir,

Daß jede Träne deiner armen Augen

Der Gruft zufließt, und, wenn sich's vollgesaugt,

Im bittern Salz der arme Narr ertrinke!

MARCUS.

Pfui, Bruder, pfui! Lehr' sie gewaltsam nicht

Die Hand anlegen ihrem zarten Leib!

TITUS.

Wie, hat dich Kummer schon verrückt gemacht?

Ich, Marcus, darf allein im Wahnsinn sprechen.

Gewaltsam Hand anlegen sollte sie?

Ach, warum nanntest du den Namen Hand?

So mußt' Äneas zweimal Rede stehn,

Wie Troja brannt' und er ins Elend kam.

Handhabe nichts, wo man von Händen spricht,

Nicht stets zu mahnen, daß wir keine haben! –

– Pfui! wie im Fieber klingt es, was ich sprach;

Als dächten wir an unsre Hand nicht mehr,

Wenn Marcus unsrer Hände nicht erwähnt! –

Kommt, fangt nun an! Iß dies, mein süßes Mädchen, –

– Hier fehlt zu trinken. – Hör' doch, was sie spricht:

All ihre Marterzeichen merk' ich leicht:

Sie sagt, sie kennt nur Tränen als Getränk,

Ihr Becher sei die Wang', ihr Aug' die Kelter.

Sprachlose Klag'! Ich forsche deinen Sinn,

Dein stummes Reden lern' ich so verstehn,[47]

Wie bettelnde Einsiedler ihr Brevier.

Du sollst nicht seufzen, nicht zum Himmel sehn,

Nicht winken, nicken, Zeichen machen, knien,

Daß ich daraus nicht füg' ein Alphabet

Und still mich übend lerne, was du meinst.

KNABE.

Großvater, laß die Klagen herb und wild:

Erheitre meine Muhme durch ein Märchen!

MARCUS.

Der zarte Knabe, ach! bewegt von Mitleid,

Weint, so in Schwermut seinen Ahn zu sehn! –

TITUS.

Still, zarter Sproß; du bist geformt aus Tränen,

Und Tränen schmelzen bald dein Leben hin!


Marcus schlägt mit dem Messer auf den Teller.


Wonach schlugst du mit deinem Messer, Marcus?

MARCUS.

Ich traf und schlug sie tot; 'ne Fliege war's.

TITUS.

Schäme dich, Mörder; du erschlugst mein Herz;

Mein Aug' ist übersatt von Tyrannei:

Ein Mord, an dem unschuld'gen Tier geübt,

Ziemt Titus' Bruder nicht: – steh auf und geh!

Ich seh', du taugst für meinen Umgang nicht.

MARCUS.

O Lieber! Eine Flieg' erschlug ich nur! –

TITUS.

Wenn nun die Fliege Vater hatt' und Mutter?

Wie senkt' er dann die zarten goldnen Schwingen,

Und summte Klag' und Jammer durch die Luft!

Harmloses, gutes Ding,

Das mit dem hübschen, summenden Gesang

Herflog, uns zu erheitern; und du tötest sie!

MARCUS.

Vergib; 'ne schwarze, garst'ge Fliege war's,

Ganz wie der Kais'rin Mohr; drum schlug ich sie.

TITUS.

Oh, oh, oh,

Ja, dann vergib mir, wenn ich dich gescholten,

Denn eine Tat der Gnade übtest du.

Gib mir dein Messer, ich will sie zerhaun,

Mir schmeicheln, diesen Mohren hätt' ich hier,

Der eigens herkam, um mir Gift zu streun.

Das nimm für dich! und dies für Tamora!

Ah, Bube!

Ich denke doch, so sind wir nicht herunter,[48]

Daß wir am Tisch hier nicht 'ne Flieg' erschlügen,

Die kohlschwarz wie ein Mohr sich zu uns drängt!

MARCUS.

Ach, armer Mann! Er hält, von Gram zerstört,

Trügliche Schatten für ein wahres Ding! –

TITUS.

Kommt, räumt nun auf: Lavinia, geh mit mir,

Ich folg' dir in dein Zimmer, lese dir

Leidvolle Märchen vor aus alter Zeit.

Komm, Knabe, folge mir; dein Aug' ist jung,

Und du sollst lesen, wenn sich meines trübt.


Sie gehn ab.[49]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 46-50.
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