Erster Auftritt

[11] Marzelline plättet vor ihrer Tür Wäsche; neben ihr steht ein Kohlenbecken, in dem sie den Stahl wärmt. Jaquino hält sich nahe bei seinem Stübchen; er öffnet die Tür mehreren Personen, die ihm Pakete übergeben, die er in sein Stübchen legt.


Nr. 1. Duett


JAQUINO verliebt und sich die Hände reibend.

Jetzt, Schätzchen, jetzt sind wir allein,

Wir können vertraulich nun plaudern.

MARZELLINE ihre Arbeit fortsetzend.

Es wird ja nichts Wichtiges sein,

Ich darf bei der Arbeit nicht zaudern.

JAQUINO.

Ein Wörtchen, du Trotzige du!

MARZELLINE.

So sprich nur, ich höre ja zu.[11]

JAQUINO.

Wenn du mir nicht freundlicher blickest,

So bring ich kein Wörtchen hervor.

MARZELLINE.

Wenn du dich nicht in mich schickest,

Verstopf ich mir vollends das Ohr.

JAQUINO.

Ein Weilchen nur höre mir zu,

Dann laß ich dich wieder in Ruh'.

MARZELLINE.

So hab ich denn nimmermehr Ruh';

So rede, so rede nur zu.

JAQUINO.

Ich habe zum Weib dich gewählet,

Verstehst du?

MARZELLINE.

Das ist doch klar.

JAQUINO.

Und, wenn mir dein Jawort nicht fehlet,

Was meinst du?

MARZELLINE.

So sind wir ein Paar.

JAQUINO.

Wir könnten in wenigen Wochen –

MARZELLINE.

Recht schön, du bestimmst schon die Zeit.


Man pocht.


JAQUINO.

Zum Henker das ewige Pochen!

MARZELLINE.

So bin ich doch endlich befreit!

JAQUINO.

Da war ich so herrlich im Gang,

Und immer entwischt mir der Fang.

MARZELLINE.

Wie macht seine Liebe mir bang,

Wie werden die Stunden mir lang.


Jaquino öffnet die Pforte, nimmt ein Paket ab und legt es in sein Stübchen. Marzelline fährt unterdessen fort.


Ich weiß, daß der Arme sich quälet,

Es tut mir so leid auch um ihn!

Fidelio hab ich gewählet,

Ihn lieben ist süßer Gewinn.

JAQUINO zurückkommend.

Wo war ich? – Sie sieht mich nicht an.

MARZELLINE.

Da ist er – er fängt wieder an.

JAQUINO.

Wann wirst du das Jawort mir geben?

Es könnte ja heute noch sein.

MARZELLINE beiseite.

O weh, er verbittert mein Leben!


Zu ihm.


Jetzt, morgen und immer: nein, nein!

JAQUINO.

Du bist doch wahrhaftig von Stein!

Kein Wünschen, kein Bitten geht ein.[12]

MARZELLINE für sich.

Ich muß ja so hart mit ihm sein,

Er hofft bei dem mindesten Schein.

JAQUINO.

So wirst du dich nimmer bekehren?

Was meinst du?

MARZELLINE.

Du könntest nun gehn.

JAQUINO.

Wie? Dich anzusehn willst du mir wehren?

Auch das noch!

MARZELLINE.

So bleibe hier stehn!

JAQUINO.

Du hast mir so oft doch versprochen –

MARZELLINE.

Versprochen? Nein, das geht zu weit!


Man pocht.


JAQUINO.

Zum Henker das ewige Pochen!

MARZELLINE.

So bin ich doch endlich befreit!

JAQUINO.

Es ward ihr im Ernste schon bang,

Wer weiß, ob es mir nicht gelang.

MARZELLINE.

Das ist ein willkommener Klang,

Es wurde zu Tode mir bang.


Es wird wieder ein Paket abgegeben.


JAQUINO. Wenn ich diese Tür heute nicht schon zweihundertmal aufgemacht habe, so will ich nicht Kaspar Eustach Jaquino heißen. Zu Marzelline. Endlich kann ich doch wieder einmal plaudern. Man pocht. Zum Wetter! schon wieder! Er geht, um zu öffnen.

MARZELLINE auf der Vorderbühne. Was kann ich dafür, daß ich ihn nicht mehr so gern wie sonst haben kann?

JAQUINO zu dem, der gepocht hat, indem er hastig zuschließt. Ich werde es besorgen. Schon recht! Vorgehend zu Marzelline. So! – Nun, hoffe ich, soll niemand mehr uns stören.

ROCCO ruft im Schloßgarten. Jaquino! Jaquino!

MARZELLINE. Hörst du? Der Vater ruft!

JAQUINO. Lassen wir ihn ein wenig warten. Also, auf unsere Liebe zu kommen –

MARZELLINE. So geh doch. Der Vater wird sich nach Fidelio erkundigen wollen.

JAQUINO eifersüchtig. Ei freilich, da kann man nicht schnell genug sein.

ROCCO ruft wieder. Jaquino, hörst du nicht?[13]

JAQUINO schreiend. Ich komme schon! Zu Marzelline. Bleib fein hier, in zwei Minuten sind wir wieder beisammen. Ab in den Garten, dessen Tür offen ist.


Quelle:
Ludwig van Beethoven: Fidelio. Stuttgart 1970, S. 11-14.
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