Zweite Szene


[639] Wotan tritt in höchster zorniger Aufgeregtheit aus dem Tann auf und schreitet vor der Gruppe der Walküren auf der Höhe, nach Brünnhilde spähend, heftig einher.


WOTAN.

Wo ist Brünnhild',

wo die Verbrecherin?

Wagt ihr, die Böse

vor mir zu bergen?

DIE ACHT WALKÜREN.

Schrecklich ertost dein Toben!

Was taten, Vater, die Töchter,

daß sie dich reizten

zu rasender Wut?

WOTAN.

Wollt ihr mich höhnen?

Hütet euch, Freche!

Ich weiß: Brünnhilde

bergt ihr vor mir.

Weichet von ihr,

der ewig Verworfnen,

wie ihren Wert

von sich sie warf.

ROSSWEISSE.

Zu uns floh die Verfolgte.

ALLE ACHT WALKÜREN.

Unsern Schutz flehte sie an!

Mit Furcht und Zagen

faßt sie dein Zorn:

für die bange Schwester

bitten wir nun,

daß den ersten Zorn du bezähmst.

Laß dich erweichen für sie,

zähme deinen Zorn!

WOTAN.

Weichherziges

Weibergezücht!

So matten Mut

gewannt ihr von mir?

Erzog ich euch kühn,

zum Kampfe zu ziehn,

schuf ich die Herzen[639]

euch hart und scharf,

daß ihr Wilden nun weint und greint,

wenn mein Grimm eine Treulose straft?

So wißt denn, Winselnde,

was die verbrach,

um die euch Zagen

die Zähre entbrennt:

Keine wie sie

kannte mein innerstes Sinnen;

keine wie sie

wußte den Quell meines Willens!

Sie selbst war

meines Wunsches schaffender Schoß. –

Und so nun brach sie

den seligen Bund,

daß treulos sie

meinem Willen getrotzt,

mein herrschend Gebot

offen verhöhnt,

gegen mich die Waffe gewandt,

die mein Wunsch allein ihr schuf! –

Hörst du's, Brünnhilde?

Du, der ich Brünne,

Helm und Wehr,

Wonne und Huld,

Namen und Leben verlieh?

Hörst du mich Klage erheben,

und birgst dich bang dem Kläger,

daß feig du der Straf entflöhst?

BRÜNNHILDE tritt aus der Schar der Walküren hervor, schreitet demütig, doch festen Schrittes von der Felsenspitze herab und tritt so in geringer Entfernung vor Wotan.

Hier bin ich, Vater!

Gebiete die Strafe!

WOTAN.

Nicht straf ich dich erst,

deine Strafe schufst du dir selbst.

Durch meinen Willen

warst du allein:

gegen mich doch hast du gewollt;

führtest du aus:

gegen mich doch hast du befohlen;

Wunschmaid

warst du mir:[640]

gegen mich doch hast du gewünscht;

Schildmaid

warst du mir:

gegen mich doch hobst du den Schild;

Loskieserin

warst du mir:

gegen mich doch kiestest du Lose;

Heldenreizerin

warst du mir:

gegen mich doch reiztest du Helden!

Was sonst du warst,

sagte dir Wotan.

Was jetzt du bist,

das sage dir selbst:

Wunschmaid bist du nicht mehr,

Walküre bist du gewesen: –

nun sei fortan,

was so du noch bist!

BRÜNNHILDE heftig erschreckend.

Du verstößt mich?

Versteh ich den Sinn?

WOTAN.

Nicht send ich dich mehr aus Walhall;

nicht weis' ich dir mehr

Helden zur Wal,

nicht führst du mehr Sieger

in meinen Saal:

bei der Götter trautem Mahle

das Trinkhorn nicht reichst

du traulich mir mehr;

nicht kos' ich dir mehr

den kindischen Mund;

von göttlicher Schar

bist du geschieden,

ausgestoßen

aus der Ewigen Stamm:

gebrochen ist unser Bund,

aus meinem Angesicht bist du verbannt!

DIE WALKÜREN verlassen in aufgeregter Bewegung ihre Stellung, indem sie sich etwas tiefer herabziehen.

Wehe! Weh!

Schwester, ach Schwester

BRÜNNHILDE.

Nimmst du mir Alles,

was einst du gabst?

WOTAN.

Der dich zwingt, wird dir's entziehn![641]

Hieher auf den Berg

banne ich dich;

in wehrlosen Schlaf

schließe ich dich:

der Mann dann fange die Maid,

der am Wege sie findet und weckt!

DIE ACHT WALKÜREN kommen in höchster Aufregung von der Felsenhöhe ganz herab und umgeben in ängstlichen Gruppen Brünnhilde, welche halb kniend vor Wotan liegt.

Halt ein! O Vater!

Soll die Maid verblühn

und verbleichen dem Mann?

Du schrecklicher Gott!

Wende von ihr

die schreiende Schmach!

Wie die Schwester träf uns selber der Schimpf!

WOTAN.

Hörtet ihr nicht,

was ich verhängt?

Aus eurer Schar

ist die treulose Schwester geschieden;

mit euch zu Roß

durch die Lüfte nicht reitet sie länger;

die magdliche Blume

verblüht der Maid;

ein Gatte gewinnt

ihre weibliche Gunst –

dem herrischen Manne

gehorcht sie fortan,

am Herde sitzt sie und spinnt,

aller Spottenden Ziel und Spiel!


Brünnhilde sinkt mit einem Schrei zu Boden; die Walküren weichen entsetzt mit heftigem Geräusch von ihrer Seite.


Schreckt euch ihr Los?

So flieht die Verlor'ne!

Weichet von ihr

und haltet euch fern!

Wer von euch wagte

bei ihr zu weilen,

wer mir zum Trotz

zu der Traurigen hielt,

die Törin teilte ihr Los:

das künd ich der Kühnen an!

Fort jetzt von hier;[642]

meidet den Felsen!

Hurtig jagt mir von hinnen,

sonst erharrt Jammer euch hier!

DIE WALKÜREN.

Weh! Weh!


Sie fahren unter wildem Schrei auseinander und stürzen in hastiger Flucht in den Tann. Schwarzes Gewölk lagert sich dicht am Felsenrande: man hört wildes Geräusch im Tann. Ein greller Blitzesglanz bricht in dem Gewölk aus; in ihm erblickt man die Walküren mit verhängtem Zügel, in eine Schar zusammengedrängt, wild davonjagen. Bald legt sich der Sturm; die Gewitterwolken verziehn sich allmählich. In der folgenden Szene bricht, bei endlich ruhigem Wetter, Abenddämmerung ein, der am Schlusse Nacht folgt.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 639-643.
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