[672] Der Wanderer (Wotan) tritt aus dem Wald an das hintere Tor der Höhle. Er trägt einen dunkelblauen langen Mantel; einen Speer führt er als Stab. Auf dem Haupt hat er einen breiten runden Hut mit herabhängender Krempe.
DER WANDERER.
Heil dir, weiser Schmied!
Dem wegmüden Gast
gönne hold
des Hauses Herd!
MIME erschrocken auffahrend.
Wer ist's, der im wilden
Walde mich sucht?
Wer verfolgt mich im öden Forst?
WANDRER sehr langsam, immer nur um einen Schritt, sich nähernd.
»Wandrer« heißt mich die Welt;
weit wandert ich schon:
auf der Erde Rücken
rührt ich mich viel!
MIME.
So rühre dich fort
und raste nicht hier, –
nennt dich »Wandrer« die Welt!
WANDRER.
Gastlich ruht ich bei Guten,
Gaben gönnten Viele mir,
denn Unheil fürchtet,
wer unhold ist.
MIME.
Unheil wohnte
immer bei mir;
willst du dem Armen es mehren?
WANDRER langsam immer näher schreitend.
Viel erforscht ich,
erkannte viel;
wicht'ges konnt ich
manchem künden,
manchem wehren,
was ihn mühte,
nagende Herzensnot.
MIME.
Spürtest du klug,
und erspähtest du viel,
hier brauch ich nicht Spürer noch Späher.
Einsam will ich
und einzeln sein:
Lungerern laß ich den Lauf.[673]
WANDRER wieder etwas näher tretend.
Mancher wähnte
weise zu sein;
nur was ihm not tat
wußte er nicht:
was ihm frommte,
ließ ich erfragen:
lohnend lehrt ihn mein Wort.
MIME immer ängstlicher, da er den Wanderer näher sieht.
Müß'ges Wissen
wahren Manche;
ich weiß mir grade genug:
Wanderer vollends bis an den Herd vorschreitend.
mir genügt mein Witz;
ich will nicht mehr!
Dir Weisem weis ich den Weg!
WANDRER am Herd sich setzend.
Hier sitz ich am Herd,
und setze mein Haupt
der Wissens-Wette zum Pfand. –
Mein Kopf ist dein,
du hast ihn erkiest,
erfrägst du dir nicht,
was dir frommt,
lös ich's mit Lehren nicht ein.
MIME der zuletzt den Wanderer mit offenem Munde angestarrt hat, schrickt jetzt zusammen. Kleinmütig für sich.
Wie werd ich den Lauernden los? –
Verfänglich muß ich ihn fragen. –
Er ermannt sich wie zur Strenge.
Dein Haupt pfänd ich
für den Herd:
nun sorg es sinnig zu lösen!
Drei der Fragen
stell ich mir frei.
WANDRER.
Dreimal muß ich's treffen. –
MIME sammelt sich zum Nachdenken.
Du rührtest dich viel
auf der Erde Rücken,
die Welt durchwandertest weit; –
nun sage mir schlau:
welches Geschlecht
tagt in der Erde Tiefe?[674]
WANDRER.
In der Erde Tiefe
tagen die Nibelungen;
Nibelheim ist ihr Land;
Schwarzalben sind sie;
Schwarz-Alberich
hütet' als Herrscher sie einst.
Eines Zauberringes
zwingende Kraft
zähmt' ihm das fleißige Volk;
reicher Schätze
schimmernden Hort
häuften sie ihm:
der sollte die Welt ihm gewinnen. –
Zum zweiten, was frägst du, Zwerg?
MIME versinkt in immer tieferes Nachsinnen.
Viel, Wanderer,
weißt du mir
aus der Erde Nabelnest.
Nun sage mir schlicht:
welches Geschlecht
wohnt auf der Erde Rücken?
WANDRER.
Auf der Erde Rücken
wuchtet der Riesen Geschlecht:
Riesenheim ist ihr Land.
Fasolt und Fafner,
der Rauhen Fürsten,
neideten Nibelungs Macht;
den gewaltigen Hort
gewannen sie sich,
errangen mit ihm den Ring,
Um den entbrannte
den Brüdern Streit:
der Fasolt fällte,
als wilder Wurm
hütet nun Fafner den Hort.
Die dritte Frage nun droht.
MIME ganz entrückt und nachsinnend.
Viel, Wanderer,
weißt du mir
von der Erde rauhem Rücken.
Nun sage mir wahr,
welches Geschlecht
wohnt auf wolkigen Höhn?[675]
WANDRER.
Auf wolkigen Höhn
wohnen die Götter:
Walhall heißt ihr Saal.
Lichtalben sind sie;
Licht-Alberich,
Wotan, waltet der Schar.
Aus der Weltesche
weihlichstem Aste
schuf er sich einen Schaft:
dorrt der Stamm,
nie verdirbt doch der Speer;
mit seiner Spitze
sperrt Wotan die Welt.
Heil'ger Verträge
Treue-Runen
schnitt in den Schaft er ein.
Den Haft der Welt
hält in der Hand,
wer den Speer führt,
den Wotans Faust umspannt:
ihm neigte sich
der Niblungen Heer;
der Riesen Gezücht
zähmte sein Rat:
ewig gehorchen sie alle
des Speeres starkem Herrn.
Er stößt wie unwillkürlich mit dem Speer auf den Boden, wovon Mime heftig erschrickt.
Nun rede, weiser Zwerg!
Wußt ich der Fragen Rat?
Behalte mein Haupt ich frei?
MIME nachdem er den Wanderer mit dem Speer aufmerksam beobachtet hat, gerät nun in große Angst, sucht verwirrt nach Gerätschaften und blickt scheu zur Seite.
Fragen und Haupt
hast du gelöst:
nun, Wandrer, geh deines Wegs!
WANDRER.
Was zu wissen dir frommt,
solltest du fragen:
Kunde verbürgte mein Kopf.
Daß du nun nicht weißt,
was dir frommt,
des faß ich jetzt deines als Pfand. –[676]
Gastlich nicht
galt mir dein Gruß;
mein Haupt gab ich
in deine Hand,
um mich des Herdes zu freun.
Nach Wettens Pflicht
pfänd ich nun dich,
lösest du drei
der Fragen nicht leicht.
Drum frische dir, Mime, den Mut!
MIME sehr schüchtern und zögernd, endlich in furchtsamer Ergebung sich fassend.
Lang schon mied ich
mein Heimatland,
lang schon schied ich
aus der Mutter Schoß:
Verstohlen zum Wandrer ein wenig aufblickend.
mir leuchtete Wotans Auge,
zur Höhle lugt er herein:
vor ihm magert
mein Mutterwitz.
Doch frommt mir nun weise zu sein, –
Wandrer, frage denn zu!
Vielleicht glückt mir's – gezwungen –
zu lösen des Zwergen Haupt. –
WANDRER wieder gemächlicher sich niederlassend.
Nun ehrlicher Zwerg!
Sag mir zum ersten!
Welches ist das Geschlecht,
dem Wotan schlimm sich zeigte,
Sehr leise, doch vernehmbar.
und das doch das liebste ihm lebt?
MIME sich ermunternd.
Wenig hört ich
von Heldensippen;
der Frage doch mach ich mich frei. –
Die Wälsungen sind
das Wunschgeschlecht,
das Wotan zeugte,
und zärtlich liebte,
zeigt er auch Ungunst ihm.
Siegmund und Sieglind'
stammten von Wälse,
ein wild verzweifeltes[677]
Zwillingspaar:
Siegfried zeugten sie selbst,
den stärksten Wälsungensproß. –
Behalt ich, Wandrer,
zum ersten mein Haupt?
WANDRER gemütlich.
Wie doch genau
das Geschlecht du mir nennst!
Schlau eracht ich dich Argen. –
Der ersten Frage
wardst du frei;
zum Zweiten nun sag mir, Zwerg!
Ein weiser Niblung
wahret Siegfried;
Fafnern soll er ihm fällen,
daß den Ring er erränge,
des Hortes Herrscher zu sein.
Welches Schwert
muß Siegfried nun schwingen,
taug' es zu Fafners Tod?
MIME seine gegenwärtige Lage immer mehr vergessend, reibt sich vergnügt die Hände.
Nothung heißt
ein neidliches Schwert;
in einer Esche Stamm
stieß es Wotan:
dem sollt es geziemen,
der aus dem Stamm es zög.
Der stärksten Helden
keiner bestand's;
Siegmund der kühne
konnt's allein:
fechtend führt er's im Streit,
bis an Wotans Speer es zersprang.
Nun verwahrt die Stücken
ein weiser Schmied;
denn er weiß, daß allein
mit dem Wotans-Schwert
ein kühnes, dummes Kind,
Siegfried, den Wurm versehrt.
Behalt ich Zwerg
auch zweitens mein Haupt?
WANDRER lachend.
Haha, haha, hahahaha!
Der Witzigste bist du[678]
unter den Weisen,
wer käm dir an Klugheit gleich?
Doch bist du so klug,
den kindischen Helden
für Zwergenzwecke zu nützen, –
mit der dritten Frage
droh ich nun.
Sag mir, du weiser
Waffenschmied:
wer wird aus den starken Stücken
Nothung, das Schwert, wohl schweißen?
MIME fährt im höchsten Schrecken auf.
Die Stücken! Das Schwert!
Kreischend.
O weh, mir schwindelt!
Was fang ich an?
Was fällt mir ein?
Verfluchter Stahl!
Daß ich dich gestohlen!
Er hat mich vernagelt
in Pein und Not!
Mir bleibt er hart,
ich kann ihn nicht hämmern;
Niet und Löte
läßt mich im Stich!
Er wirft wie sinnlos sein Gerät durcheinander und bricht in helle Verzweiflung aus.
Der weiseste Schmied
weiß sich nicht Rat!
Wer schweißt nun das Schwert,
schaff ich es nicht?
Das Wunder, wie soll ich's wissen!
WANDRER ist ruhig vom Herd aufgestanden.
Dreimal solltest du fragen,
dreimal stand ich dir frei: –
nach eitlen Fernen
forschtest du;
doch was zunächst dir sich fand,
was dir nützt, fiel dir nicht ein;
nun ich's errate,
wirst du verrückt:
gewonnen hab ich
das witzige Haupt! –[679]
Jetzt, Fafners kühner Bezwinger,
hör, verfallner Zwerg!
»Nur wer das Fürchten
nie erfuhr,
schmiedet Nothung neu.«
Mime starrt ihn groß an; er wendet sich zum Fortgang.
Dein weises Haupt
wahre von heut –
verfallen laß ich es dem,
der das Fürchten nicht gelernt.
Er wendet sich lächelnd ab und verschwindet schnell im Walde. Mime ist wie vernichtet auf den Schemel zurückgesunken.
Buchempfehlung
Diese Ausgabe gibt das lyrische Werk der Autorin wieder, die 1868 auf Vermittlung ihres guten Freundes Ferdinand v. Saar ihren ersten Gedichtband »Lieder einer Verlorenen« bei Hoffmann & Campe unterbringen konnte. Über den letzten der vier Bände, »Aus der Tiefe« schrieb Theodor Storm: »Es ist ein sehr ernstes, auch oft bittres Buch; aber es ist kein faselicher Weltschmerz, man fühlt, es steht ein Lebendiges dahinter.«
142 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro