[378] TRISTAN in höchster Aufregung auf dem Lager sich mühend.
O diese Sonne!
Ha! dieser Tag!
Ha, dieser Wonne
sonnigster Tag!
Jagendes Blut,
jauchzender Mut!
Lust ohne Maßen,
freudiges Rasen!
Auf des Lagers Bann
wie sie ertragen!
Wohlauf und daran,
wo die Herzen schlagen!
Tristan der Held,
in jubelnder Kraft,
hat sich vom Tod
emporgerafft.
Er richtet sich hoch auf.
Mit blutender Wunde
bekämpft ich einst Morolden:
mit blutender Wunde
erjag ich mir heut Isolden!
Er reißt sich den Verband der Wunde auf.
Heia, mein Blut!
Lustig nun fließe!
[378] Er springt vom Lager herab und schwankt vorwärts.
Die mir die Wunde
ewig schließe, –
sie naht wie ein Held,
sie naht mir zum Heil!
Vergeh die Welt
meiner jauchzenden Eil!
Er taumelt nach der Mitte der Bühne.
ISOLDE von außen rufend.
Tristan! Geliebter!
TRISTAN in der furchtbarsten Aufregung.
Wie, hör ich das Licht?
Die Leuchte, ha!
Die Leuchte verlischt.
Zu ihr! Zu ihr!
Isolde eilt atemlos herein. Tristan, seiner nicht mächtig, stürzt sich ihr schwankend entgegen. In der Mitte der Bühne begegnen sie sich; sie empfängt ihn in ihren Armen. – Tristan sinkt langsam in ihren Armen zu Boden.
ISOLDE.
Tristan! Ha!
TRISTAN sterbend zu ihr aufblickend.
Isolde!
Er stirbt.
ISOLDE.
Ha! Ich bin's, ich bin's –,
süßester Freund!
Auf, noch einmal
hör meinen Ruf!
Isolde ruft;
Isolde kam
mit Tristan treu zu sterben!
Bleibst du mir stumm?
Nur eine Stunde!
Nur eine Stunde
bleib mir wach!
So bange Tage
wachte sie sehnend,
um eine Stunde
mit dir noch zu wachen: –
betrügt Isolden,
betrügt sie Tristan
um dieses einzige
ewig kurze
letzte Weltenglück? –
Die Wunde? Wo?
Laß sie mich heilen![379]
Daß wonnig und hehr
die Nacht wir teilen;
nicht an der Wunde,
an der Wunde stirb mir nicht:
uns beiden vereint
erlösche das Lebenslicht! –
Gebrochen der Blick –!
Still das Herz!
Nicht eines Atems
flücht'ges Wehn!
Muß sie nun jammernd
vor dir stehn,
die sich wonnig dir zu vermählen
mutig kam über's Meer?
Zu spät!
Trotziger Mann!
Strafst du mich so
mit härtestem Bann?
Ganz ohne Huld
meiner Leidensschuld?
Nicht meine Klagen
darf ich dir sagen?
Nur einmal – ach! –
nur einmal noch! –
Tristan! – Ha! –
horch –! Er wacht!
Geliebter!
Sie sinkt bewußtlos über der Leiche zusammen.
Buchempfehlung
Die Ausgabe enthält drei frühe Märchen, die die Autorin 1808 zur Veröffentlichung in Achim von Arnims »Trösteinsamkeit« schrieb. Aus der Publikation wurde gut 100 Jahre lang nichts, aber aus Elisabeth Brentano wurde 1811 Bettina von Arnim. »Der Königssohn« »Hans ohne Bart« »Die blinde Königstochter« Das vierte Märchen schrieb von Arnim 1844-1848, Jahre nach dem Tode ihres Mannes 1831, gemeinsam mit ihrer jüngsten Tochter Gisela. »Das Leben der Hochgräfin Gritta von Rattenzuhausbeiuns«
116 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro