Elftes Kapitel

[47] So vielfach lässt sich also das aus der Steigerung und der Aehnlichkeit entnommene Mittel zum Angriffe des Gegners benutzen. Ebenso kann auch die Hinzufügung zu gleichem Behufe benutzt werden. Macht z.B. die Hinzufügung des einen zu dem andern letzteres gut, oder weiss, während es vorher nicht weiss oder nicht[47] gut war, so ist das Hinzugefügte gut oder weiss, weil es auch das Ganze so macht. Wenn ferner das Hinzugefügte einen Gegenstand mehr in dem steigert, was er vorher war, so wird das Hinzugefügte selbst dieser Art sein. Dies gilt auch für andere ähnliche Fälle. Indess ist dieses Mittel nicht immer anwendbar, sondern nur für Bestimmungen, bei denen es angeht, dass der Gegenstand in denselben gesteigert werden kann. Auch kann dieses Mittel nicht umgekehrt zur Begründung benutzt werden; denn wenn das Hinzugefügte den Gegenstand nicht gut macht, so ist deshalb es selbst noch nicht nicht-gut. So macht das dem Schlechten hinzugefügte Gute das Ganze nicht nothwendig gut und ebenso das Weisse das Schwarze nicht nothwendig weiss.

Wenn ferner bei einer Bestimmung eine Steigerung oder Minderung statt hat, so muss dieselbe überhaupt in dem Gegenstand enthalten sein; denn was nicht gut oder nicht weiss ist, kann auch nicht weisser oder besser genannt werden. Denn das Schlechte ist bei keinem Gegenstande ein mehr oder weniger Gutes. Auch kann dieses Mittel nicht umgekehrt zur Widerlegung benutzt werden, da Vieles, was von einem Gegenstande ausgesagt werden kann, keine Steigerung annimmt und doch in ihm enthalten ist; so kann der einzelne Mensch als solcher weder vermehrt noch vermindert werden, aber deshalb ist er doch ein Mensch.

Dasselbe Mittel kann auch für die Beziehungen und für die Zeit- und Ortsbestimmungen benutzt werden; denn wenn ein Gegenstand in gewisser Beziehung etwas sein kann, so kann er es auch überhaupt sein. Dasselbe gilt für die Zeit und den Ort, denn das überhaupt – Gültige kann es unmöglich blos in einer Beziehung oder nur für einen Ort oder eine bestimmte Zeit sein. Man kann indess einwenden, dass es allerdings von Natur gute Menschen nur in gewissen Beziehungen gebe, z.B. in Bezug auf Freigebigkeit oder Selbstbeherrschung, während es doch von Natur überhaupt gute Menschen nicht gebe; denn Niemand sei z.B. von Natur klug. Ebenso könne ein Vergängliches eine Zeit lang unvergänglich sein, während es doch nicht überhaupt unvergänglich sein könne. Auch könne eine gewisse Lebensweise an einem bestimmten Orte zuträglich sein, wie z.B. in ungesunden Gegenden,[48] während diese Lebensweise überhaupt nicht zuträglich sei. Ebenso könne an einem Orte nur Eines möglich sein, während an allen Orten überhaupt dieses Eine nicht das allein Mögliche sei. So gehöre es auch zu diesem Gesichtspunkte, dass an einem Orte es sittlich sei, dem Vater zu opfern, wie bei den Triballern, während es doch überhaupt nicht sittlich sei. Indess bezieht sich dies wohl nicht gerade auf den Ort, sondern auf bestimmte Personen, gleichviel wo sie sind; überall wird es für die Triballer sittlich bleiben. Ebenso kann man sagen, es sei zu gewissen Zeiten allerdings zuträglich, Arznei einzunehmen, so wenn man krank sei, überhaupt sei es aber nicht zuträglich. Indess bezieht sich wohl auch dies nicht auf eine bestimmte Zeit, sondern für den in einem bestimmten Zustand Befindlichen, da es gleich ist, wo er sich befindet, wenn er nur in dem betreffenden Zustande sich befindet.

Das »überhaupt« ist dann vorhanden, wenn man etwas, ohne dass noch Weiteres hinzugesetzt wird, z.B. sittlich, oder unsittlich nennt. So wird man nicht sagen, dass das Opfern des eigenen Vaters sittlich sei, sondern nur, dass dies bei gewissen Menschen sittlich sei; also ist es nicht überhaupt sittlich. Dagegen wird man ohne Zusatz es für sittlich erklären, den Göttern zu opfern, denn es ist überhaupt sittlich. Wenn also etwas ohne Zusatz für sittlich, oder schlecht oder für sonst etwas der Art gilt, so kann man sagen, dass es überhaupt der Art ist.[49]

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 47-50.
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