Vierzehntes Kapitel

[161] Wenn ferner die Definition ein Ganzes als eine Verbindung bestimmter Theile angiebt, z.B. die des Geschöpfes als eine Verbindung der Seele und des Leibes, so muss man zunächst prüfen, ob etwa die Art der Verbindung nicht angegeben worden ist, z.B. wenn das Fleisch, oder die Knochen als eine Verbindung von Feuer, Erde und Luft definirt worden sind. Denn es nützt nichts, blos die Verbindung zu nennen, man muss auch angeben, welche Art von Verbindung es sei, da nicht aus jeder beliebigen Verbindung dieser Stücke Fleisch entsteht, sondern Fleisch durch eine Verbindung dieser und[161] Knochen durch eine Verbindung jener Art; ja es scheint keines von beiden das, was es ist, durch eine Verbindung zu sein, denn jede Verbindung hat zu ihrem Gegentheil die Auflösung, aber keiner der beiden Gegenstände hat ein solches Gegentheil. Wenn ferner es gleich glaubwürdig ist, dass jedes Zusammengesetzte eine Verbindung ist, wie, dass es keine Verbindung ist, aber von den Geschöpfen, obgleich jedes ein zusammengesetztes ist, keines eine Zusammensetzung ist, so wird auch von dem anderen Zusammengesetzten keines eine Zusammensetzung sein.

Wenn ferner derselbe Gegenstand seiner Natur nach zu verschiedenen Zeiten das Entgegengesetzte enthalten kann, derselbe aber nur durch das eine der Entgegengesetzten definirt worden ist, so ist klar, dass dies keine richtige Definition ist; denn sonst gäbe es von dem einen Gegenstand mehrere Definitionen, da man dann den Gegenstand ebensogut durch das eine, wie durch das andere definiren könnte, weil er für beide von Natur gleich empfänglich ist. Solcher Art wäre z.B. die Definition der Seele, wenn sie ein des Wissens fähiges Geschöpf genannt würde, denn sie ist ebenso auch der Unwissenheit fähig.

Wenn man die vom Gegner aufgestellte Definition nicht im Ganzen angreifen kann, weil man das Ganze nicht näher kennt, so muss man es bei einem Theile derselben versuchen, welcher uns näher bekannt ist und nicht richtig definirt zu sein scheint; denn kann man bei diesem Theile die Definition widerlegen, so fällt auch die ganze Definition. Sind die Definitionen aber unklar aufgestellt, so muss man sie zu berichtigen und in eine bessere Form zu bringen suchen und sehen, ob sich auf diesem Wege etwas ergiebt, was man angreifen kann; denn der Antwortende muss entweder das von dem Anderen Aufgestellte annehmen, oder selbst deutlicher sagen, was er mit der Definition meine. So wie man in den Volksversammlungen einen anderen Gesetzentwurf vorzubringen pflegt und damit, wenn dieser besser ist, den zuerst eingebrachten beseitigt, so muss man auch bei den Definitionen verfahren und selbst eine andere Definition aufstellen. Denn wenn diese als die bessere erscheint und das zu Definirende mehr klar legt, so ist offenbar die vom Gegner aufgestellte Definition umgestossen, da es[162] nicht mehrere Definitionen von demselben Gegenstande geben kann.

Bei allen Definitionen ist es keiner der geringsten Gesichtspunkte, dass man zunächst für sich den vorliegenden Gegenstand richtig zu definiren oder gut gefasste Definitionen sich in das Gedächtniss zu rufen versuche; denn indem man dann darauf, wie auf ein Muster schaut, wird man es nothwendig bemerken, wenn an der vom Gegner aufgestellten Definition etwas Nöthiges fehlt, oder etwas Ueberflüssiges zugesetzt ist, so dass man dadurch mehr Mittel zum Angriff bekommt.

So viel sei über die Definitionen gesagt.[163]

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 161-164.
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