Zweites Kapitel

[95] Es kann vorkommen, dass die Vordersätze, durch welche der Schluss erfolgt, wahr sind, oder dass sie falsch sind, oder dass der eine wahr und der andere falsch ist; dagegen muss der Schlusssatz nothwendig wahr oder falsch sein. Aus wahren Vordersätzen kann nun kein Falsches geschlossen werden, aber aus falschen Sätzen kann Wahres geschlossen werden, jedoch nicht deshalb weil sie falsch sind, sondern weil es sich so trifft; denn das Falsche in den Vordersätzen ist nicht die Ursache von dem wahren Schlüsse; wie in dem später Folgenden gezeigt werden wird.

Zunächst erhellt, dass aus wahren Vordersätzen nichts Falsches geschlossen werden kann, daraus, dass wenn aus dem Sein von A nothwendig das Sein von B folgt, auch nothwendig ist, dass wenn B nicht-ist, auch A nicht-ist. Wenn nun A wahr ist, so muss auch B wahr, sein, oder es würde folgen, dass dasselbe zugleich sein und nicht sein könnte, was doch unmöglich ist. Doch darf man nicht glauben, dass, weil A als ein Begriff gesetzt ist, es möglich sei, dass aus dem Sein eines Begriffes nothwendig etwas Anderes folgen müsse; das ist nicht möglich, vielmehr ist das nothwendig Folgende der Schlusssatz und damit dieser sich als eine nothwendige Folge ergebe, sind wenigstens drei Begriffe nöthig, und zwei verbundene Glieder oder Vordersätze. Wenn es nun wahr ist, dass A in allem enthalten ist, worin B enthalten ist und B in allem, worin C enthalten ist, so muss auch A in allem, worin C enthalten ist, enthalten sein und es ist unmöglich, dass dieser Schluss falsch sei; denn sonst müsste dasselbe A zugleich in C enthalten und nicht-enthalten sein. Denn das A gilt als eines, indem die beiden Vordersätze in den Schlusssatz zusammengezogen sind. Ebenso verhält es sich mit den verneinenden Sätzen, denn man kann aus wahren Vordersätzen nichts Falsches beweisen.

Dagegen kann man aus falschen Vordersätzen einem wahren Satz folgern, sowohl wenn beide Vordersätze falsch sind, als wenn nur einer es ist; aber dies darf nicht jedweder sein, sondern muss der zweite Vordersatz sein, sofern auch er in seinem ganzen Umfange falsch ist; ist aber dies Falsche nicht für seinen ganzen Umfang vorhanden,[96] so kann jeder von beiden Sätzen der falsche sein. Es sei also A in dem ganzen C enthalten und in keinem B und auch B nicht in C. Nun ist aber ein Ansatz statthaft; wie z.B. das Geschöpf ist in keinem Steine und der Stein in keinem Menschen enthalten. Setzt man nun, dass A in allen B und B in allen C enthalten ist, so ist auch A in allen C enthalten, mithin ergiebt sich aus beiden falschen Vordersätzen ein wahrer Schlusssatz; denn jeder Mensch ist ein Geschöpf. Ebenso verhält es sich mit dem verneinenden Satze; A soll also in C nicht enthalten sein und auch B nicht in C, aber A soll in allen B enthalten sein; z.B. wenn man zu den obigen Begriffen den Menschen als Mittelbegriff setzt, denn weder das Geschöpf, noch der Mensch ist in dem Steine enthalten, aber das Geschöpf ist in allen Menschen enthalten. Nimmt man nun an, dass der Mittelbegriff in dem nicht enthalten ist, dem er doch zukommt, und dass er in allen dem enthalten ist, dem er nicht zukommt, so wird sich aus beiden falschen Vordersätzen ein wahrer Schlusssatz ergeben. Diese Darlegung bleibt dieselbe, wenn jeder der beiden Vordersätze theilweise falsch ist. Ist aber nur ein Vordersatz falsch, so kann, wenn der Obersatz, also der Satz A B, in seinem ganzen Inhalte falsch ist, der Schlusssatz nicht wahr sein, wohl aber dann, wenn der Untersatz B C falsch ist. Ich verstehe unter: ganz falsch den gegentheiligen Satz; z.B. wenn von Etwas, was in keinem enthalten ist, angenommen wird, es sei in allem enthalten und von dem, was in allem enthalten, dass es in keinem enthalten. Es soll also A in keinem B enthalten sein und B in dem ganzen C. Wenn hier der aufgestellte Vordersatz B C ein wahrer ist, aber der Vordersatz A B, dass A in allen B enthalten sein soll, ganz falsch ist, so kann unmöglich der Schlusssatz wahr sein; denn A kann in keinem C enthalten sein, wenn A in Wahrheit in keinem B und B in allen C enthalten ist. Eben so verhält es sich, wenn A in dem ganzen B und B in dem ganzen C wahrhaft enthalten ist und der Vordersatz B C hiernach so aufgestellt wird, wie er in Wahrheit lautet, aber der Vordersatz A B ganz falsch aufgestellt wird, also dass A in keinem B enthalten sein soll; auch dann wird der Schlusssatz falsch sein; denn A muss in dem ganzen C enthalten sein, wenn A[97] in dem ganzen B und B in dem ganzen C enthalten ist. Hieraus erhellt, dass wenn der Obersatz ganz falsch angesetzt wird, mag dies bejahend oder verneinend geschehen, und der andere Vordersatz nach seinem wahren Sachverhalte, kein wahrer Schluss sich ergiebt. Wird aber der Obersatz nicht ganz falsch angesetzt, so kann ein wahrer Schluss sich ergeben. Denn wenn A in dem ganzen C und in einigen B enthalten ist, und B in allen C, wie z.B. das Geschöpf in allen Schwanen und in einigem Weissen, das Weisse aber in allen Schwanen enthalten ist, so wird, wenn man ansetzt, dass A in allen B und B in allen C enthalten, A auch in allen C in Wahrheit enthalten sein, denn jeder Schwan ist ein Geschöpf. Dasselbe findet statt, wenn der Satz A B verneinend lautet; denn es ist statthaft, dass A in einigen B und in keinem C und B in allen C enthalten ist; so ist z.B. das Geschöpf in einigem Weissen, aber in keinem Schnee enthalten, aber das Weisse in jedem Schnee. Nimmt man nun an, dass A in keinem B, und B in allen C enthalten ist, so ergiebt sich der Schluss, dass A in keinem C enthalten ist.

Wird aber der Vordersatz A B ganz wahr angesetzt, und der Vordersatz B C ganz falsch, so kann sich ein wahrer Schlusssatz ergeben; denn es kann kommen, dass A in dem ganzen B und in dem ganzen C enthalten ist, aber B in keinem C, wie z.B. die nebengeordneten Arten ein und derselben Gattung; denn das Geschöpf ist sowohl in dem Menschen, wie in dem Pferde enthalten, aber das Pferd ist in keinem Menschen enthalten; wird nun hier angenommen, dass A in allen B und B in allen C enthalten sei, so kommt ein Schluss heraus, der wahr ist, obgleich der Vordersatz B C ganz falsch ist. Ebenso verhält es sich, wenn der Vordersatz mit A B verneinend lautet; denn es kann sein, dass A sowohl in keinem B, wie in keinem C enthalten ist und auch B in keinem C, wie z.B. eine Gattung rücksichtlich der nebengeordneten Arten einer anderen Gattung; denn das Geschöpf ist weder in der Musik noch in der Arzneikunde enthalten und die Musik auch nicht in der Arzneikunde. Setzt man nun, dass A in keinem B, aber B in allen C enthalten sei, so kommt ein wahrer Schluss heraus. Auch wenn der Untersatz mit B C nicht ganz falsch, sondern[98] nur theilweise falsch ist, kann sich ein wahrer Schluss ergeben. Denn es kann sein, dass A in dem ganzen B und in dem ganzen C enthalten ist, und B nur in einigen von C, wie z.B. die Gattung in der Art und in der unterscheidenden Artbestimmung; denn das Geschöpf ist in allen Menschen und in allen Füsse habenden enthalten; aber der Mensch ist nur in einigen Füsse habenden und nicht in allen enthalten. Setzt man nun, dass A in allen B und B in allen C enthalten sei, so ergiebt sich, dass A in allen C enthalten ist, was richtig ist. Eben so verhält es sich bei einem verneinenden Vordersatze A B, denn es kann sein, dass A in keinem B und in keinem C, aber B in einigen C enthalten ist; z.B. die Gattung in Bezug auf die Art und dem specifischen Unterschied einer anderen Gattung; denn das Geschöpf ist in keiner Klugheit und in keinem erkennenden Vermögen enthalten, aber die Klugheit in einigen des erkennenden Vermögens. Setzt man nun, dass A in keinem B, aber B in allen C enthalten sei, so folgt, dass A in keinem C enthalten ist, was richtig ist.

Bei beschränkt lautenden Schlüssen kann es sein, dass wenn auch der Obersatz ganz falsch ist, der Untersatz aber wahr ist, der Schlusssatz ein wahrer ist und dass der Schlusssatz auch dann ein wahrer ist, wenn der Obersatz theilweise falsch, der Untersatz aber ganz wahr ist oder wenn jener wahr und dieser theilweise unwahr ist, oder endlich wenn beide falsch sind. Denn es kann sein, dass A in keinem B, aber in einigen C, und B in einigen C enthalten ist; so ist das Geschöpf in keinem Schnee, aber in einigem Weissen und der Schnee in einigem Weissen enthalten. Nimmt man nun den Schnee zum Mittelbegriff und das Geschöpf zu dem Oberbegriff und setzt man, dass A in dem ganzen B und B in einigen C enthalten sei, so ist der Obersatz A B ganz falsch und der Untersatz B C wahr und auch der Schlusssatz ist wahr. Dasselbe findet statt, wenn der Obersatz A B verneinend lautet, denn es kann sein, dass A in dem ganzen B enthalten, aber in einigen C nicht enthalten ist und B in einigen C enthalten ist; so ist z.B. das Geschöpf in allen Menschen enthalten, aber kann von einigem Weissen nicht ausgesagt werden und der Mensch ist in einigem Weissen enthalten; setzt man hier den Menschen[99] als Mittelbegriff und dass A in keinem B enthalten sei, aber B in einigen C, so wird der Schlusssatz ein wahrer sein, obgleich der Obersatz ganz falsch ist. Auch wenn der Obersatz mit A B nur theilweise falsch ist, ergiebt sich doch ein wahrer Schlusssatz. Denn es ist statthaft, dass A sowohl in einigen B, wie in einigen C enthalten ist und dass auch B in einigen C enthalten ist; so kann z.B. das Geschöpf in einigem Schönen und in einigem Grossen enthalten sein und ebenso das Schöne in einigen Grossem. Setzt man nun, dass A in allen B und B in einigen C enthalten sei, so ist der Obersatz zum Theil unwahr, aber der Untersatz wahr und der Schlusssatz ebenfalls wahr. Eben so verhält es sich, wenn der Obersatz verneinend lautet; man kann hier dieselben Begriffe und in derselben Stellung Behufs des Beweises benutzen.

Ist ferner der Obersatz A B wahr und der Untersatz B C falsch, so kann der Schlusssatz wahr sein. Denn es ist statthaft, dass A in dem ganzen B und in einigen C enthalten und dass B in keinem C enthalten ist, so ist z.B. das Geschöpf in allen Schwanen und in einigen Schwarzen, der Schwan aber in keinem Schwarzen enthalten. Setzt man nun, dass A in allen B und B in einigen C enthalten ist, so ergiebt sich ein wahrer Schlusssatz, obgleich der Untersatz B C falsch ist. Dasselbe gilt, wenn der Obersatz verneinend angenommen wird. Denn A kann in keinem B enthalten und auch in einigen C nicht enthalten sein und B in keinem C, wie z.B. die Gattung im Verhältniss zu der Art einer anderen Gattung und zu dem Zufälligen ihrer eigenen Arten; so ist das Geschöpf in keiner Zahl, aber in einigem Weissen enthalten und die Zahl ist in keinem Weissen enthalten. Nimmt man nun die Zahl zum Mittelbegriff und setzt man, dass A keinem B zukomme, aber B einigen C, so wird A einigen C nicht zukommen, was richtig ist, obgleich der Obersatz wahr, der Untersatz aber falsch ist.

Auch wenn sowohl der Obersatz wie der Untersatz theilweise falsch sind, kann der Schlusssatz wahr sein. Denn nichts hindert, dass A in einigen B und in einigen C enthalten ist und B in keinem C; z.B. wenn B und C Gegentheile sind und beide zu derselben Gattung gehören; so ist das Geschöpf in einigem Weissen und in[100] einigem Schwarzen, das Weisse aber in keinem Schwarzen enthalten. Setzt man nun, dass A in allen B und B in einigen C enthalten sei, so wird der Schlusssatz wahr sein. Eben dasselbe gilt, wenn der Obersatz verneinend lautet, da dieselben Begriffe benutzt und in gleicher Weise gestellt werden können, um dies darzulegen. Auch wenn beide Vordersätze falsch sind, kann der Schlusssatz wahr sein; denn es kann sein, dass A in keinem B, aber in einigen C, und B in keinem C enthalten ist; z.B. die Gattung in Rücksicht auf die Art einer anderen Gattung, und den zufälligen Bestimmungen ihrer eigenen Arten. So ist das Geschöpf in keiner Zahl, aber in einigen Weissen und die Zahl in keinem Weissen enthalten. Setzt man nun, dass A in allen B und B in einigen C enthalten ist, so ergiebt sich ein wahrer Schluss, obgleich beide Vordersätze falsch sind. In gleicher Weise verhält es sich, wenn der Obersatz verneinend lautet. Denn es ist statthaft, dass A in dem ganzen B, aber in einigen C nicht enthalten ist und B in keinem C; so ist z.B. das Geschöpf in jedem Schwan enthalten und in einigem Schwarzen nicht und der Schwan in keinem Schwarzen. Setzt man nun, dass A in keinem B und B in einigen C enthalten, so wird A in einigen C nicht enthalten sein, welcher Schlusssatz wahr ist, während beide Vordersätze falsch sind.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 95-101.
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