Siebzehntes Kapitel

[34] In denjenigen Fällen, wo Etwas in einem Andern vermittelt enthalten oder nicht-enthalten ist, können, wenn der falsche Schluss mittelst des eigentlichen Mittelbegriffs erfolgt, nicht beide Vordersätze falsch sein, sondern nur der mit dem grössern äussern Begriff. Ich verstehe aber unter dem eigentlichen Mittelbegriff denjenigen, durch welchen der Schluss auf den entgegengesetzten wahren Satz erfolgt So soll A in B durch den Mittelbegriff C enthalten sein; da nun hier, wenn ein Schluss möglich sein soll, der Vordersatz C B bejahend gesetzt werden[34] muss, so erhellt, dass dieser Satz immer wahr sein muss, denn er lässt sich nicht in seinen Gegensatz umkehren. Dagegen muss der Satz A C falsch sein, denn wenn man diesen in seinen Gegensatz umkehrt, so kommt der entgegengesetzte wahre Schlusssatz heraus. Dasselbe findet statt, wenn auch der Mittelbegriff aus einer andern Reihe entnommen wird, wie z.B. D; wenn also D in dem ganzen Umfange von A enthalten ist und von dem ganzen B ausgesagt wird; auch hier muss der Vordersatz D B unverändert bleiben, aber der andere in seinen Gegentheil verkehrt werden; mithin ist der eine Vordersatz hier immer ein wahrer und der andere immer ein falscher. Auch ist ein solcher Irrthum ziemlich derselbe, als wenn der falsche Schluss durch den eigentlichen Mittelbegriff erfolgt.

Wird dagegen der Schluss nicht durch den eigentlichen Mittelbegriff gefolgert, so müssen, wenn der Mittelbegriff unter dem A enthalten, aber in keinem B enthalten ist beide Vordersätze falsch sein; denn sie müssen entgegengesetzt dem, wie sie in Wahrheit sich verhalten, angesetzt werden, wenn überhaupt ein Schluss zu Stande kommen soll, und wenn sie in dieser Weise angesetzt werden, müssen beide falsch werden. Wenn z.B. A in dem ganzen D enthalten ist und D in keinem B, so wird sich, nur dann, wenn man diese Sätze in die entgegengesetzten umwandelt, ein Schluss ziehen lassen, wobei aber beide Vordersätze falsch sind. Ist aber der Mittelbegriff, z.B. D, nicht unter dem A enthalten, so wird zwar der Vordersatz A D ein wahrer sein, aber D B ist dann falsch; denn dann ist der Vordersatz A D, nehmlich dass D in den A nicht enthalten sei, wahr, aber der Satz D B ist falsch, denn wäre er wahr, so müsste auch der Schlusssatz ein wahrer sein, während er doch ein falscher sein soll.

Erfolgt aber der Irrthum vermittelst eines in der zweiten Figur gezogenen falschen Schlusses, so können zwar beide Vordersätze nicht ganz falsch sein (denn wenn das B unter dem A enthalten ist, so ist es unmöglich, dass Etwas in dem einen von Beiden ganz und in dem andern gar nicht enthalten ist, wie früher dargelegt worden ist); dagegen kann einer von Beiden und zwar gleichviel welcher, ganz falsch sein; denn[35] wenn C sowohl in A, wie in B enthalten ist und man nimmt an, dass es in A enthalten, aber in B nicht enthalten sei, so wird der Vordersatz A C wahr sein, aber der andere falsch. Umgekehrt wird, wenn man annimmt, dass C in dem B enthalten, aber in keinem A enthalten sei, zwar der Satz B C wahr sein, aber der andere wird falsch sein.

Somit ist dargelegt, wann und durch welche Vordersätze der Irrthum entsteht, wenn der irrthümliche Schlusssatz verneinend lautet; lautet er aber bejahend, so können nicht beide Vordersätze falsch sein, denn der Satz C B muss unverändert bleiben, wenn ein Schluss überhaupt möglich sein soll, wie ich schon früher bemerkt habe; mithin muss in solchem Falle immer der Satz C A falsch sein, denn dieser Satz ist der, welcher in seinem Gegentheil verkehrt worden ist. Dasselbe findet statt, wenn auch der Mittelbegriff aus einer andern Begriffsweise entnommen wird, wie ich schon bei dem falschen verneinend-lautenden Schlusssatz bemerkt habe; denn auch hier darf der Satz D B nicht verändert werden und der Satz A D muss in seinem Gegentheil verkehrt werden; der Irrthum ist also hier derselbe, wie in dem vorigen Falle. Wird aber der Schluss nicht durch den eigentlichen Mittelbegriff vermittelt, so muss, wenn D unter dem A enthalten ist, der Satz A D in seiner Wahrheit genommen werden, und nur der andere muss falsch sein; denn A kann sehr wohl in mehreren Dingen enthalten sein, die einander nicht untergeordnet sind. Ist dagegen das D nicht unter dem A enthalten, so ist klar, dass dieser Satz A D immer falsch sein wird (denn er wird bejahend angesetzt), während der Satz B D sowohl wahr, wie falsch sein kann; denn es ist möglich, dass A in keinem D enthalten, aber D in allen B enthalten ist. So ist z.B. das Geschöpf in keiner Wissenschaft enthalten, aber die Wissenschaft ist in der Musiklehre enthalten. Auch kann da sowohl das A in keinem D oder das D in keinem B enthalten sein. Somit erhellt, dass, wenn der Mittelbegriff nicht unter dem A enthalten ist, der irrthümliche Schluss sowohl zwei falsche Vordersätze, wie auch nur einen enthalten kann.

Hiernach ist dargelegt, wie vielfach und durch[36] welche Vordersätze die irrthümlichen Schlüsse sich bilden können, sowohl bei Sätzen, wo die Begriffe unvermittelt sind, als bei Sätzen, wo der Beweis für sie durch Mittelbegriffe geführt werden kann.

Quelle:
Aristoteles: Zweite Analytiken oder: Lehre vom Erkennen. Leipzig [o.J.], S. 34-37.
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