Einundzwanzigstes Kapitel

[40] Es erhellt, dass man auch bei den Beweis eines verneinenden Satzes zu einem Ende gelangen wird, wenn bei dem Beweis der bejahenden Sätze auf beiden Seiten ein Halt besteht. Es sei daher nicht möglich, von dem untersten Begriff nach oben ohne Ende fortzugehen (ich nenne »untersten Begriff« wie Z, den, welcher in keinem andern weiter enthalten ist, während aber ein anderer in ihm enthalten ist), und ebenso nicht möglich, von dem obersten Begriff ohne Ende bis zu dem untersten fortzugehen (ich nenne »obersten Begriff« den, welcher zwar von einem andern ausgesagt wird, aber von dem selbst kein anderer ausgesagt wird). Wenn dies nun bei den bejahenden Schlüssen statt hat, so wird die Reihe der Mittelbegriffe auch für die verneinenden Schlüsse ein Ende haben.

Der Beweis für eine Verneinung kann nämlich in[40] dreifacher Weise geführt werden. Entweder so, dass in dem ganzen C das B enthalten, aber in keinem B das A enthalten ist. Was hier nun den Satz B C anlangt und überhaupt immer den Untersatz, so müssen bei diesen die Mittelbegriffe ein Ende haben, da diese Sätze bejahend lauten. Was aber den Obersatz anlangt, so ist klar, dass wenn der Oberbegriff A in einen dem B vorhergehenden Begriff, z.B. in D nicht enthalten ist, dieses D dann in dem ganzen B enthalten sein muss; und wenn weiter der Oberbegriff A in einem dem D vorgehenden Begriffe nicht enthalten ist, dieser letztere in dem ganzen D enthalten sein muss. Da also der Weg nach Unten einen Endpunkt hat, so wird auch der Weg nach Oben einen solchen haben und es wird sich ein Erstes ergeben, in welchem A unvermittelt nicht – enthalten ist.

Wenn ferner das B in dem ganzen A, aber in keinem C enthalten ist, so wird A in keinem C enthalten sein. Wenn nun hier der verneinende Satz B C bewiesen werden soll, so muss dies offenbar in der obigen Weise oder in der zweiten oder in der dritten Weise geschehen. Die erste Weise ist schon besprochen worden; es ist also der Beweis durch die zweite Weise zu besprechen. Hier würde also der Beweis so zu führen sein, dass z.B. D in dem ganzen B enthalten, aber in keinem C, da nothwendig Etwas in B enthalten sein muss. Und wenn dieses wieder in keinem C enthalten ist, so muss ein Anderes in D enthalten sein, was in C nicht enthalten ist. Da nun der bejahende Satz in seiner Begründung nach oben immer zu einem Endpunkt gelangt, so wird auch der verneinende Satz einen Halt erreichen.

Bei der dritten Weise ging der Beweis dahin, dass wenn A in dem ganzen B enthalten, C aber in B nicht enthalten ist, C nicht in dem ganzen A enthalten ist. Auch hier wird der verneinende Vordersatz entweder auf die bereits besprochenen beiden Weisen zu beweisen sein, oder der Beweis geschieht in der dritten Weise. Für jene beiden Weisen hat der Beweis, wie gezeigt worden, ein Ende; erfolgt er aber in der dritten Weise, so wird man wieder annehmen müssen, dass B in E enthalten, und dass C nicht in dem ganzen E enthalten, und dies muss auch ebenso geschehen, wenn man in den Mittelbegriffen weiter geht. Da nun dargelegt worden, dass in[41] diesem Fortgang nach Unten ein Halt eintreten muss, so wird auch für die Sätze, welche das C verneinen, ein Halt eintreten.

Es erhellt also, dass wenn man auch den Beweis nicht blos auf einem Wege, sondern auf allen versucht, also bald in der ersten, bald in der zweiten, bald in der dritten Weise, dennoch der Beweis immer einen Haltpunkt haben wird; denn die Zahl der Wege ist begrenzt und wenn man Begrenztes immer in begrenzter Weise vervielfacht, so ist auch das Produkt begrenzt.

Es erhellt sonach, dass die verneinenden Beweise nicht ohne Ende fortgehen können, wenn nämlich dies auch bei den bejahenden statt hat; dies wird sich aber für diejenigen, welche die Frage aus allgemeinen Gesichtspunkten betrachten, in folgender Weise ergeben.

Quelle:
Aristoteles: Zweite Analytiken oder: Lehre vom Erkennen. Leipzig [o.J.], S. 40-42.
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