Zehntes Bruchstück

Schlimme Zeitung

[152] 657

Alsobald ein Mensch geboren,

Wächst mit ihm der Dolch im Munde,

Wo er selber sich da schneidet,

Übt er böse Zunge bübisch.


658

Wer den Tadelhaften lobrühmt

Und den Ruhmeswerten tadelt

Sammelt an im Munde Mißgunst,

Mißgunst läßt ihn Wohlsein missen.


659

Leichte Mißgunst mag es gelten,

So beim Würfelspiel man fehlwirft,

Hat man alles auch und gar sich selbst verspielt;

Schwerer wiegt noch andre Mißgunst,

Bei Willkommnen so man Haß fühlt.


660

Auf hunderttausend tausend Jahrmillionen

Und achtzehntausend tausendmal um tausend

Geht höllisch ein wer Edle mochte schelten,

In Worten, in Gedanken wer Verruchtes wünscht.


[153] 661

Wer Falsches sagt bereitet sich den Abweg,

Und wer getan als ungetan verleugnet;

Selbander sind im Tode gleich sie worden:

Verworfner Werke ausgeborne Menschen.


662

Den Menschen hassen, der von keinem Hasse weiß,

Den Mann, der lauter worden, ohne Makel:

Der Tor, der Das tut, Übel tut er sich nur an,

Als ob er Staub dem Sturme würf' entgegen.


663

Begierden wer sich zugeneigt,

Auf andre schilt er, tadelt andre gern,

Hat Mißtraun, Habsucht hegt er, scheele Furcht,

Aus Eigennutz am Nächsten zu Verrat bereit:


664

Verführer, Falscher so, gemeiner Mann,

Kernhauer, Böser, Übelschaffer du,

Der Menschheit Auswurf, Miß- und Fehlgeburt –

Kein Wort mehr weiter: bist ein Sohn der Wirrsal.


665

Nur Unrat schichtest an zum Unheil dir,

Der Fromme schmähn du magst, ein Frevler selber:

Und bist du viel gewandelt übeln Wandel durch,

Wirst untersinken jäh hinab in lange Nacht.


666

Denn keinem kann verloren gehn sein Werk:

Man folgt ihm ja, trifft andre Habe nicht:

Wer lässig war muß leiden dort,

An sich erfahren frevelhafte Tat.


[154] 667

Erzstacheln starren rings am Orte dort,

Auf scharf gewetzter Messerschneide geht man um;

Und flüssig Erz, in Kugelform geballt,

Als Atzung wird es dargeboten dann.


668

Und gräßlich hört man kreischen Wehgeschrei,

Doch keiner kommt zu retten, keiner findet Schutz:

Auf Glutenlager hingestreckt,

Wie Feuerlohe flackert es von ihnen auf.


669

Verstrickt in Netzwerk wieder da,

Durch Hammerschläge hingeschlachtet sterben sie

Und stürzen blind in Finsternis,

Ringsum gespreitet wie der Erde Rücken weit.


670

In Kessel wieder dann von Erz gebannt,

Wie Feuerlohe flackert es von ihnen auf;

Man läßt sie kochen so geraume Frist,

Im Siedegischt empor sich wälzen immer neu.


671

Im Eiterbrande, blutvermischt,

Wie büßt der Frevler wieder Taten dann?

Wohin auch immer er sich legt,

Da ist er siech verseucht an jedem Gliede.


672

Wo Madenwürmer wimmeln meeresgleich,

Wie büßt der Frevler wieder Taten dann?

Entkommen, ach, ans Ufer kann er nicht,

Und immer schimmern überall nur Schädel.


673

In Wälder dann mit Blättern messerscharf

Geraten sie, zerschlitzen sich den Leib;

Ein Angel trifft die Zunge bald

Und reißt und reißt sie weiter bis zur Todesqual.


[155] 674

Dann rafft der Hölle Flut unhemmbar hin,

Die heftig herschießt und wie Lauge ätzt:

Verschlungen ist wer lässig war,

Als Übeltäter Übel hat getan.


675

Zerhackt an anderm Orte jammervoll

Von Adlern, bunter Geier Schwarme schwinden sie,

Und Hund und Schakal geifern um den Fraß,

Und Rabe zerrt und Krähe Fetzen fort.


676

Erbärmlich ist ja sicher solche Bahn,

Wo hier man Frevel übend hingelangt:

Und weil der Mensch im Leben weilt,

Sein Werk, er mag es wirken unermüdlich aus.


677

Nach Scheffeln Sesam rechnet recht man aus die Zeit,

Im Höllengrunde zugebrachter Jahre Zahl:

Millionenmal um sich gedrehte Halbmillion,

Und zehn Myriaden zwölfmyriadenmal dazu.


678

So viel der Leiden hier die Höllen bergen,

So viel denn wird an Zeiten auch erfunden;

Und also mag bei reiner, feiner, rechter Zucht

Erzogen Rede sein, Gedanke, Tat.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 152-156.
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