Sie beide, Mutter, Tochter, ja,
Sie buhlten um den Gatten mein!
Da ward ich wild erbost, empört
Vor unerhörter Schande, Schmach:
225
»O Pfui der Fäule, Fluch der Lust,
Die gräßlich stachelt, gräßlich stinkt,
Wo Mutter mag, wo Tochter darf
Gemeinsam teilen Gattengunst!«
Als Elend hab' ich Lust erkannt,
Als Heil Entsagung echt gesehn:
Und Haus und Heimat, Königshof
Gelassen pilgernd hinter mir.
Nun weiß ich was ich jeher war,
Mein Aug' ist himmlisch abgeklärt,
Das Herz erhell' ich durch und durch,
Mein Ohr ist innen ruhig, rein.
228
Erworben hab' ich Wunderkraft,
Gekreuzt, versiegt was Wähnen war,
Sechs Wissensziele selbst erzeugt,
Geschaffen was der Meister schafft.
[560] 229
Auf hohem Wagen, wunderhell
Gerüstet, reisig viergeschirrt,
Erschien ich grüßend einst vor Ihm,
Dem größten Retter aller Welt.
Uppalavaṇṇā und der Versucher
Der Versucher:
Am wipfelhoch beblühten Baum im Walde,
Da weilst allein du, hausest unter Blättern!
Und keiner hütet, keiner schützt die Scheue:
Hast keine Furcht, o Törin du, vor Schelmen?
Uppalavaṇṇā:
231
Und kämen hunderttausend auch der Schelme
Von deiner Art gezogen her in Scharen,
Kein Härchen höbe sich empor, erbebend:
Was kannst du, Böser, einzeln hier beginnen?
Der Versucher:
Verschwinden werd' ich gar geschwind,
Im Bauche dir verborgen sein!
Die Nasenwurzel sei mein Sitz:
Ich bin bei dir, du siehst es nicht!
Uppalavaṇṇā:
233
Im Herzen hab' ich Willensmacht
Und manchen Wunderpfad gepflegt,
Sechs Wissensziele selbst erzeugt,
Geschaffen was der Meister schafft.
[561] 234
Wie Lanzenspitze seh' ich Lust
Die Sinne reizen, reißen auf:
Und was du heißest Liebeslust,
Nur Unlust dünkt mich heute das.
235
Und alle Neigung ist vertilgt,
Und Nacht und Nebel durchgeteilt;
Ich raun' es dir, Verruchter, zu:
Zermalmt ist deine Todesmacht.
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