355. Zum Beschluß, über Gemeingeist.

[444] (Aus der Zeitschrift, unter dem Titel: Gemeingeist.1)


Dämon starrer Selbstsucht flieh

In des Orkus Nächte!

Wo du weilst, gedeihen nie

Wahre Menschenrechte.

Bastard schiefer Unnatur,

Gott der Idioten!

Fleuch, verpeste nicht die Flur

Guter Patrioten!


Wo des Stolzes Vorurtheil

Und der Kaltsinn nistet,[445]

Wird des Menschen wahres Heil

Wie sein Herz verwüstet.

Brüder, auf, umarmet euch!

Sagt, wozu uns trennen?

Die Natur schuf alle gleich;

Wollt ihr sie verkennen?2
[446]

Edel ist nur jenes Blut,

Das die Tugend fühlet;

Hochgebohren jeder Muth,

Der nach Wahrheit zielet;[447]

Nur Verdienst giebt ächten Werth.

Nicht Geburt, nicht Guter:

Sklav ist, wer die Launen ehrt

Frecher Volksgebieter.


Wenn um unsers Fürsten Thron

Treue Diener stehen,

Dann wird ihm sein schönster Lohn,

Volksgunst, nicht entgehen.

Ein erlesnes Werkzeug sey

Er dem Geist der Zeiten,

Daß die Menschheit kühn und frey

Vorwärts möge schreiten.


Fluch sey jedem Wahrheitsfeind

Und Vernunftverdreher,

Jedem Schalk, der freundlich scheint,

Jedem Pharisäer!

Mögen sie ein Scheusal seyn

Wackern Zeitgenossen,

Und die Enkel ihr Gebein

Meiden wie die Schlossen!


Heil sey jedem Biedermann,

Der in seinem Stande

Gutes übt, soviel er kann.

Bis an Grabes Rande!

1

Diese Zeitschrift verlegte der Buchhändler Franke in Berlin. Die hier vorkommenden Grundsätze sind also in Berlin durch die Censur authorisirt. In den Friedenspräliminarien findet man ähnliche; und auch diese erschienen in Berlin bey Voß. Dies sey bemerkt für alle die, welche den Preußischen Hofe gern auch so etwas von. – Despotismus andichten mögten. Zu Frankfurt am Main und anderwärts hörte ich dergleichen nicht selten. Gewisse Herren sehen doch den Wald vor lauter Bäumen nicht! Sie waren aus Süd-Deutschland. Vielleicht wollten sie sich nach dem Sprüchelchen richten:

Solamen miseris, focios habuisse doloris;

allein dieß ist in meinen Augen ein miserum solamen.

2

In dem Septemberstück des Journals des Luxus und der Moden für 1795, wird S. 414., die Gleichheit, als das seltsamste Hirngespinst, das je eine ganze Nation verrückt machte, aufgestellt. – Eine ganze Nation? Also auch den Theil, der bey dieser Voraussetzung die Früchte seines Erbtheils, seiner Talente und seines Fleißes zu verlieren hatte? Also hätte dieser Theil durch ein Hirngespinst verrückt gemacht werden können, nach dessen, richtiger, Voraussetzung er selbst in sein Eingeweide gewühlt hätte? Credat ludaeus apelia! Also gewiß nicht dieser Theil; folglich auch nicht die ganze Nation.

Sonderbar, daß auch einige, sonst helle, Deutsche der wohl leicht noch hellern Nation der Neufranken ein Gleichheitssystem aufdringen, woran diese Nation gewiß nicht gedacht hat. Einzelne Wustköpfe abgerechnet, wollte sie weiter nichts, als Gleichheit vor dem Gesetze – wie dieß die öffentlichen Verhandlungsschriften, in Rousseau's Geist, ausweisen – und eben diese Gleichheit fodern ja auch unsre Philosophen nach den ersten Grundsätzen des Natur- und Staatsrechts.

Und eben diese Gleichheitslehre und wohl noch mehr, war ein Hauptgrundsatz der ersten Christen: sie nannten sich Bruder, und Alle – Kinder Eines Vaters. Secundum Iustitiae officium – sagt Lactantius L. VI. C.X.S. 2. und L.V.C. XIV. S. 15. 19. 20. – est Humanitas ... Humanitas summum inter Homines vinculum est, quod qui disrumpunt, nesarii existimandi. A Deo orimur omnes, sumus proinde consanguinei ... Dicitur alias hoc officium aequitas, qua se homines ita coaequare debent, ut absit quoque disparitas dignitatum; nec sequendi sunt Romani et Graeci, qui homines multis gradibus dispares habuerunt, a pauberibus ad divites, ab humilibus ad potentes, a privatis usque ad Regem: quae quippe inaequalitas excludit ipsam Iustitiam, quae pares facit omnes. – Das heißt auf Deutsch: Die zweyte Pflicht der Gerechtigkeit ist Menschlichkeit. – Menschlichkeit ist das höchste Band unter den Menschen, und die, welche es zerreissen, müssen für Nichtswürdige gehalten werden. Von Gott stammen wir Alle, sind folglich Blutsverwandte. – Man nennt diese Pflicht sonst auch Billigkeit, und nach dieser müssen sich die Menschen so ausgleichen, daß auch der Unterschied der Würden fern sey. Eben so muß man weder den Römern, noch den Griechen nachahmen, welche Menschen nach vielen Stufen ungleich hatten – von den Armen zu den Reichen, von den Niedrigen zu den Mächtigen, von Privatleuten zu den Königen: denn eben diese Ungleichheit schließt alle Gerechtigkeit aus, welche gleicht macht Alle.

Daß auch Tertullian die Ungleichheit nach Würden für unerlaubt gehalten habe, zeigt Bardeyrach in seinem Traité de la Morale des Peres de l' Eglise Chap. VI. §. XXVI. pag. 86. seq. – Erst seit der Zeit die Bischöffe der Hauptstädte, durch allerband heilige Künste, zuviel Reichthum und Ansehn erworben hatten, um sich als Musiker ihrer Heerde, nach Christi und Petri Vorschrift, weiterhin zu richten, und als es ihnen behagte, den Herrn und Meister nach Hohepriester Art, über ihres Gleichen zu spielen, – machte man diese Gleichheitslehre zur Ketzerey, wie so manche andere, die mit der Zeit doch wieder als wahr anerkannt und herrschend wurde – nach dem bekannten Spruch des Cicero: Opinionum commenta delet dies, Naturae judicia confirmat.

Quelle:
Laukhard, Friedrich: Zuchtspiegel für Eroberungskrieger, Advokaten und Aerzte. In: Zuchtspiegel für Fürsten und Hofleute, Paris [i.e. Leipzig] 1799, S. 444-448.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Horribilicribrifax

Horribilicribrifax

Das 1663 erschienene Scherzspiel schildert verwickelte Liebeshändel und Verwechselungen voller Prahlerei und Feigheit um den Helden Don Horribilicribrifax von Donnerkeil auf Wüsthausen. Schließlich finden sich die Paare doch und Diener Florian freut sich: »Hochzeiten über Hochzeiten! Was werde ich Marcepan bekommen!«

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon