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[366] VARUS sitzt wieder auf dem Lagerwall. Er ringt die Hände. Wir kommen nicht durch! Lebte Eggius noch, so hätt ich jemand, dem ich meinen Schmerz klagen könnte. So lang das Rad der Welt in seinen Achsen sich dreht, wird man sagen, die Feigheit und Dummheit des Varus verlor dem Augustus seine besten Legionen, – und ich sage, ich war ein zu weit vorgeschobener Posten, habe oft deshalb nach Rom geschrieben, fand aber kein Gehör. Sie wähnen dort, Germaniens Forsten ließen durch Polizei sich so leicht zwingen, wie die rechtwinklig sich durchschneidenden Straßen der Städte Italiens. O, sie kennen kein Gebüsch und das Ungeziefer unter ihm!

DER SCHREIBER kommt. Jetzt, Herr, wo du Zeit hast, bist du wohl so gütig –

VARUS. Schweig von deinen Vidimationen für Manius und Konsorten. – Setz dich zu mir, laß uns ein bißchen miteinander plaudern. Für sich. Er ist immer einer der Gebildeteren im Heer, und womit nimmt man nicht vorlieb, wenn man in Not ist und sich vor Sorge kaum zu lassen weiß? – Setze dich!

SCHREIBER. Ich tu es, und wenn ich mich dessen erfreche, ists deine Schuld, Feldherr, denn du hasts geboten.

VARUS. Was hältst du von diesem Rückzug?

SCHREIBER. Was du befiehlst.

VARUS. Kommen wir wohl durch die Hohlwege und Waldungen, welche sich vor uns befinden?

SCHREIBER. Das wirst du wissen. Darauf versteh ich mich nicht.

VARUS rüttelt ihn. Kerl, bist du ein seelenloses Untier?

SCHREIBER. Ich kenne ein bißchen vom Gesetz und von den Buchstaben, welche es bilden, sonst aber schreib ich hin,[366] was man mir diktiert und weiß oft nicht was.

VARUS. Lebe wohl, Glücklicher. Der Schreiber geht. Dergleichen Maschinen sind besser daran als ihre Werkmeister.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 3, Emsdetten 1960–1970, S. 366-367.
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