Zwanzigster Brief.

An den Herrn Lieutenant von Hohenau in Berlin. Eilig!

[179] Im Gasthofe zur Stadt Rom, unter den Linden, Berlin den 17ten Junius, Abends 6 Uhr.


Ich bin seit gestern hier, und zu meiner größten Befremdung zwingt man mich, schon heute wieder die Stadt zu verlassen. Ich war dreymal bey Dir, um Deine Hülfe und Rath mir zu erbitten, aber keinmal warst Du zu Hause, und niemand konnte mir sagen, wo ich Dich antreffen würde.

Die Veranlassung meiner Reise kannst Du leicht errathen. Ich suchte meine unglückliche Schwester, und nachdem alle meine Nachforschungen vergebens gewesen, wollte ich doch wenigstens Dich nicht verfehlen – Nicht,[179] um Dir Vorwürfe zu machen – die Sache ist doch nun einmal geschehen – Nein! sondern um über verschiedene Begebenheiten Licht zu erhalten, die meinen Eltern und uns Allen noch immer ein Räthsel in dieser traurigen Geschichte bleiben.

Ich kam gestern Abend an. Ein Franzose, den ich hier fand, dem ich ohngefehr die Veranlassung meiner Reise sagte, und daß ich Dich zu sprechen wünschte, erboth sich, mich zu Dir zu begleiten. Ich nahm weitere Abrede mit ihm darüber, und er empfahl sich.

Diesen Morgen stehe ich früh auf, kleide mich an, und erwarte noch immer den Franzosen, als der Wirth hereintritt, und mir meldet, daß der Gouverneur mich um acht Uhr bey sich sehen wollte. Da ich nun den Mann gar nicht kennte; so glaubte ich nicht, hingehen zu müssen; Allein der Wirth machte mir begreiflich, daß auch ein Fremder hier, ohne Erlaubniß des Gouvernements, nicht in der[180] Stadt bleiben dürfe. Ich mußte mich also wohl entschliessen hinzugehn.

Als ich fortwollte, war der Franzose noch nicht dagewesen; die Stunde rückte heran, ich gieng also, begleitet von einem Miethlaquaien, zum Gouverneur. Dieser fragte mich um die Ursache meiner Reise, nach meinen Pässen, und um meine Geschäfte in Berlin.

Ich fühlte keinen Beruf, ihm davon genaue Nachricht zu geben, sondern sagte: »Ich hätte allerley Geschäfte hier, und ein reisender Cavalier bedürfe keines Passes« –

»Nicht naseweiß, junger Herr!« rief der grobe Mann; »Haben Sie denn Addressen?« Ich sagte, ich hätte keine, und wollte eben hinzufügen, daß ich Dich kennte, als er mit lauter Stimme mir in die Rede fiel: »Wir kennen schon die Art Herrchen. Der König mag hier keine müssige Leute herumlaufen haben. Ich rathe Ihnen, daß[181] Sie sich auf die Rückreise machen, und noch vor Abends die Stadt verlassen. Ihre Geschäfte können Sie schriftlich abthun; Verstehen Sie mich?« – Und damit, ohne meine Antwort zu erwarten, verließ er mich.

Was sollte ich machen? Ich war so betroffen über diese ungewöhnliche Begegnung, daß ich kaum die Thür wieder finden konnte. Es blieb mir nichts anders übrig, als mit meinem Lehnlaquaien Deine Wohnung aufzusuchen; Ich gieng hin, und fand Dich nicht.

Als ich zurück in den Gasthof kam, war noch immer der Franzose nicht da gewesen; Auch hat sich derselbe nicht wieder sehen lassen. Gleich nach Tische war ich nochmals vergebens in Deinem Quartiere, und vor einer halben Stunde zum drittenmal. Da komme ich nun eben zu Hause, und höre vom Wirthe, daß der Gouverneur sich schon hat erkundigen lassen, ob ich noch da sey.

Ich muß also gleich fort – Warum? das weiß der Himmel. Es muß hier ein[182] Mißverständniß seyn – Oder sollte der Franzose – Du weißt vermuthlich, was meine Tante, (in deren Aufrichtigkeit wir freylich Ursache haben Zweifel zu setzen) erzählt hat.1 Was ich muthmaßen soll, begreife ich nicht – Genug ich bitte, ich beschwöre Dich, bey unserer ehemaligen Freundschaft, die Sache aufzuklären, und zuerst meinetwegen mit dem Gouverneur zu reden, damit ich zurückkommen dürfe. Ich will unterdessen nach Rosenthal gehn, wo mich Deine Briefe treffen können –

Voll Zuversicht, daß du diese Sache in Ordnung bringen, und mein dir noch immer gewidmetes Herz nicht zu einem noch schlimmern Verdachte verleiten wirst, unterschreibe ich mich,


Deinen

treuesten Freund,

Hundefeld.

Fußnoten

1 Nein! das weiß Hohenau nicht.


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 3, Riga 1781–1783, S. 184.
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