Zweyter Brief.

An den Herrn Secretair Meyer in Dresden.

[22] Urfstädt den 14ten Julius 1771.


Noch immer ermüdet das eigensinnige Schicksal nicht, mit mir sein Spiel zu treiben. Ich bin aber so gewöhnt, diese kleinen Abwechselungen zu ertragen, daß ich Ihnen heute mit wahrhaftig ruhigem Herzen melden kann, daß ich wieder der Besitzer von Urfstädt bin.

Ich kam vorgestern Abends hier an, und fand den Herrn von Wallitz auf dem Sterbebette. Ihn hatte sehr nach meiner Ankunft verlangt, und als man ihm sagte, daß ich da wäre, schien die quälende Unruhe, welche man seit dem Anfange seiner Krankheit an[22] ihm bemerkt hatte, sehr nachzulassen. Er reichte mir seine Hand entgegen, als ich zu ihm hereintrat, und winkte mir, mich neben sein Bette hinzusetzen. Dann fieng er an, sich in den rührendesten Ausdrücken über sein vergangenes, so wenig zum Besten seiner Mitmenschen verwendetes Leben, anzuklagen, warf sich aber besonders die Härte vor, mit welcher er mich von meinem väterlichen Erbtheile vertrieben hätte.

Unterdessen mußte sein Secretair ein Papier herholen, das er mir mit viel Bewegung übergab, und welches ein kürzlich von ihm vor Notarien und Zeugen ausgefertigtes Document enthielt, darinn er, auch in dem Falle, wenn er leben bleiben sollte, feyerlich auf den Besitz der von mir ehemals besessenen Güter Verzicht that, um mich wiederum als den rechtmäßigen Herrn derselben anzuerkennen. Ausserdem hatte er wegen seines übrigen Vermögens, einige Legaten ausgenommen, gänzlich zu meinem Vortheile Verfügungen getroffen.[23]

Es schmerzte mich, daß der arme alte Mann, bey diesen Regungen, das erwiesene Unrecht gut zu machen, doch gar nicht an seinen natürlichen Sohn gedacht hatte. Nachdem ich ihm daher für seine guten Gesinnungen gegen mich herzlich gedankt hatte, nahm ich Gelegenheit, ihn an diese größere Pflicht zu erinnern, und ihn zu versichern, daß ich unter keiner andern Bedingung sein Vermächtniß annehmen würde.

Er schien darüber betroffen, daß mir dieser Theil seiner Lebensgeschichte bekannt war, und wollte anfangs sich auf keine Weise darauf einlassen; als ich aber in ihn drang, erlangte ich endlich, nicht ohne Mühe, daß sein letzter Willen abgeändert, und der junge Mensch zum Erben seiner baaren Capitalien eingesetzt, mir aber die Verwaltung dieses Vermögens übertragen wurde. Ja! es gelung mir, nachdem er diese Pflicht erfüllt hatte, sein Gemüth in eine gänzlich ruhige und heitre Verfassung zu setzen.[24]

Er bekannte mir noch mit edler Offenherzigkeit manche Verirrungen, in welche er, während seiner unruhigen Laufbahn, gerathen war. Ich habe Ursache zu glauben, daß würklich ein guter, thätiger Menschenfreund aus ihm hätte werden können, wenn er in andre Lagen gekommen wäre, und einen warnenden Freund um sich gehabt hätte.

Ach! ich lerne täglich mehr, daß man nie sagen soll, was man thun würde, wenn man an eines Andern Stelle wäre – Wie unsinnig! und doch wie gewöhnlich! – Wenn man an eines andern Stelle seyn könnte; (das heißt, wenn man von eben den Umständen regiert, von denselben Triebfedern getrieben würde) so würde man auch grade eben so handeln, das ist zuverläßig wahr.

Gestern wurde der Herr von Wallitz so schwach, daß er nur wenig reden konnte. Ich ließ den Pfarrer, der sich anboth ihn zu[25] besuchen, bitten, sich diesen Weg zu sparen. Dieser Art Leuten fehlt es gewöhnlich an genugsamer Feinheit des Gefühls und an Weltkenntniß, um in einem solchen Augenblicke etwas zu sagen, das an seinem Platz stünde. Sie ermüden den armen Sterbenden mit heulenden Gebethen und Formeln, die nicht für jeden passen, und zwingen ihn da eine Rolle zu spielen, zu welcher er vielleicht gar nicht gestimmt ist. Denn, in der That! mich dünkt in diesen critischen Minuten wird jedem sein eigenes Gewissen am besten zureden. Hat das ganze Stück nichts getaugt; so giebt ihm ein rührender, pathetischer letzter Act keinen grössern Werth, und ich kann das Paradieren und Wichtigthun am Ende einer schalen, unbedeutenden oder schlechten Commödie durchaus nicht leiden. Desfalls ließ ich den Sterbenden völlig in Ruhe, und so verschied er diesen Morgen ganz sanft.

Jetzt, bester Freund! hat mich also das Schicksal wieder in Umstände versetzt, in[26] welchen ich den Wunsch meines Herzens, die Leiden Anderer zu erleichtern, mehr befriedigen kann. Sagen Sie doch ja, gleich nach Empfang dieses Briefes, dem jungen Wallitz, wie sehr sich die Sachen zu seinem Vortheile geändert haben. Wie wird sich der gute Jüngling freuen! Ich werde nun künftighin sein Vater seyn. Die Zeit erlaubt mir nicht, diesmal selbst an ihn zu schreiben. Sehen Sie indessen zu, ob Sie ihm nicht auch jetzt bessere politische Aussichten eröfnen können. Er ist würklich reich, und in dieser Welt ist das schon eine grosse Empfehlung für jemand, der in Fürstendienste treten will.

Was meinen Carl betrifft; so mögte ich ihn, bey dieser neuen Lage der Sache, gern aus Berlin weg haben1. Allein ich will das alles erst genauer überlegen –[27]

Jetzt bin ich überhaupt noch zu verwirrt, um ordentlich denken und schreiben zu können. Leben Sie wohl, mein Lieber! In wenig Tagen sollen Sie mehr hören, von


Ihrem

treuen Freunde

Leidthal.

Fußnoten

1 Man vergesse nicht, daß Leidthal noch nicht von den Vorfällen in der Frau Schufit Hause unterrichtet seyn kann.


Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 29.
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