24.

[395] Der Arzt, der alle Kräfte seiner Kunst aufbietet, um uns von körperlichen Leiden zu befreyn und ein Leben zu fristen, das nützlich für die Welt verwendet werden kann, das redlichen Freunden theuer ist und wovon vielleicht der Wohlstand einer zahlreichen Familie abhängt, hat den gegründetsten Anspruch auf unsre Dankbarkeit, um so mehr, wenn er seinen Beruf ohne Eigennutz und mit wahrhaftig theilnehmender Menschenliebe erfüllt. Er hat dieselben Ansprüche auch dann, wenn seine Kunst nicht hinreicht, das Uebel zu heben, gegen welches er kämpft. Die mehrsten Menschen aber glauben sich aller weitern Verbindlichkeit für so wesentliche Dienste überhoben, wenn sie dem Manne, der sie dem Tode entrissen hat, einige Goldstücke darreichen. Ihre Genesung schreiben sie übrigens der Stärke ihrer Natur zu, jede mislungene Cur hingegen[396] setzt der große Haufen auf die Rechnung der Ungeschicklichkeit oder Nachlässigkeit des Arztes.

Kränkliche Personen danken oft sehr schlecht denen, welche ihrer warten, pflegen, aus Sorgfalt für sie, sich jedes gesellige Vergnügen versagen und allen ihren Launen nur Geduld entgegensetzen, für diese zärtliche Bemühung, verlangen noch immer größere Opfer, und kaum sind sie wieder hergestellt, so mishandeln sie dieselben Menschen, die so viel Nachsicht mit ihnen gehabt haben.

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Ueber Eigennutz und Undank. Leipzig 1796, S. 395-397.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ueber Eigennutz und Undank
Ueber Eigennutz und Undank
Über den Umgang mit Menschen / Über Eigennutz und Undank