[5] Zweytes Schreiben.

Nachrichten von dem Rheinfalle bey Schafhausen, und von der Festung Hohentwel.

Mein Herr!


Die Bequemlichkeit, welche der Rhein der Handlung zu Schafhausen giebt, wird zwischen hier und Basel zweymal durch starke Fälle dieses Flusses unterbrochen, weil man genöthiget wird, die Waaren bey solchen Orten auszupacken, und von einem Fahrzeuge in das andere zu bringen. Rand links: Rheinfall bey Schafhausen. Der eine von diesen Wasserfällen ist der so genannte Hellhaken bey Rheinfelden, welcher aber von keiner sonderlichen Höhe und bey weitem demjenigen nicht zu vergleichen ist, der eine Vierthelstunde von Schafhausen bey dem kleinen nahe ober dem Falle liegenden Schlosse Laufen sich befindet. Dieses Laufen hat voralters den Oesterreichern zugehöret, und dem Wasserfalle den Namen gegeben. Es hat mir an Gelegenheit gemangelt, die Höhe des Felsen, über welchen sich der Strom bey Schafhausen herab stürzet, genau zu untersuchen. Ich beziehe mich demnach bloß auf die Nachricht der Einwohner, welche die Höhe zu siebenzig Füßen, und die Breite zu ohngefähr neunzig Schritten angeben. Ehe der Rhein zu seinem sehr steilen Schuß kömmt, ragen hin und wieder viele Felsen aus dem Grunde hervor. Beym Falle selbst theilt er sich in drey Flüsse, welche durch ihren grünen Grund und ihr schneeweißes Strudeln dem Zuschauer eine angenehme Augenweide, hingegen durch das Brausen seinem Gemüthe sowohl Bewunderung als Entsetzen verursachen. Der gewaltsamste Durchbruch des Stroms ist auf der mittäglichen oder[6] zürchischen Seite, da sich durch den heftigen Sturz das Wasser gleichsam in weißen Staub verwandelt, davon ein Theil als eine dünne Wolke oder als ein Nebel in die Höhe steigt, und vermittelst der darinnen aufgefangenen Sonnenstralen die schönsten Farben verschiedener Regenbogen vorstellet1.

Die Felsen, so den Rhein in drey Haupttheile absondern, sind mit Fichten und andern grünen Bäumen bewachsen. Nächst daran auf der schafhausischen Seite liegt bey dem Dorfe Neuhausen ein einträgliches Eisenwerk, und die häufig hierum befindlichen Eisensteine halten öfters viele zu Stein gewordene Muscheln und Seeschnecken in sich: gleichwie man auch auf dem so genannten Randenberge bey Schafhausen, (woselbst gleichfalls Eisen gefunden wird) viele lapides Judaicos, ostrcitas spinosos majores & minores, wie auch Radiolos und Scutula Echinitarum antrifft. Rand rechts: Petrefacta.

Vier Stunden von Schafhausen nordostwärts liegt das berühmte Bergschloß Hohentwiel, (latein. Duellium) so dem Herzoge von Würtemberg-Stuttgard gehöret, undgänzlich von dem nellenburgischen Gebiethe umgeben ist. Rand rechts: Festung Hohentwiel. Indem solchergestalt nichts von den umliegenden Ländereyen zu dieser Festung gehöret: so ist leicht zu erachten, daßsie ihrem Herrn mehr Ehre, als Einkünfte bringe. Bey entstehenden Kriegsunruhen könnten die Archive, Juwelen, und andere Kostbarkeiten allda ihre Sicherheit finden; weil der Ort wegen seiner Lage also beschaffen ist, daß er zwar einem in das Land dringenden Feinde nichts in den Weg legen kann, indessen aber auch nichts so eilig von ihm zu befürchten hat; und wäre zu wünschen, daß er in einer andern Gegend läge, woselbst er dem schwäbischen Kreise mehrern Vortheil schaffen konnte, als in diesem Striche Landes, wo von der Nachbarschaft der Schweizer nichts feindseliges zu vermuthen ist. Anitzt giebt er den hierum zerstreueten evangelischen Glaubensgenossen Gelegenheit, ihren öffentlichen Gottesdienst alle Sonn- und Festtage auf der obern Festung abzuwarten, da sonst keinem Fremden, ja selbst keinem Prinzen vom Hause die Freyheit gelassen wird, in das obere Schloß zu kommen, wo er nicht desfalls eine besondere Erlaubniß von dem regierenden Herzoge aufzuweisen hat. Die Commendantenstelle[7] wird mit Obristlieutenanten, Majoren etc., denen der Herzog die benöthigte Ruhe nach vieljährigen Diensten gönnen will, besetzet, wobey aber diese Unbequemlichkeit vermachet ist, daß ein solcher Mann niemals über Nacht außerhalb der Festung bleiben darf:

Hohentwiel liegt in einer schönen und fruchtbaren Gegend, rings herum mit Flecken und alten verfallenen Schlössern auf hohen Bergen umgeben. Die Aussicht, ist von allen Seiten vortrefflich, sonderlich da der Bodensee nur zwo Meilen davon entfernet ist. Bis an die unterste Festung, welche dennoch schon sehr hoch liegt, bringet der Berg gute Weine hervor. Rand links: Höhe des Berges. Wenn die Luft nicht heiter und klar ist, sieht man von Hohentwiel die angränzenden Gegenden mit Nebel und Wolken bedecket, gleich einer See, aus welcher nach und nach, wenn sich das Wetter aufkläret, die höchsten Berge und Schlösser mit ihren Felsen, als Inseln hervor ragen. Rand links: Ob sie frey von Gewittern? Es ist zu vermuthen, daß sich öfters Gewitter eräugen in der Gegend der Luft, welche viel niedriger2 als der Horizont der obern Festung ist; sonderlich nach den wahrscheinlichen Sätzen der neueren Weltweisen, die gar nicht zugeben wollen, daß Blitz und Donner in den gar hohen Wolken gezeuget oderhervorgebracht werden: indessen hat die Erfahrung auch gelehret, daß der Gipfel dieses Berges keinesweges von solcher Höhe ist, daß er den Wirkungen des Blitzes nicht unterworfen wäre; wie dann noch vor etlichen Jahren das Gewitter in die obere Festung eingeschlagen, und einen Officier nebst etlichen gemeinen Soldaten getödtet hat. Es ist hier die Gewohnheit, daß, wenn fürstliche und andere Standespersonen auf diese Festung kommen, jede derselben von dem untern Castel einen Stein von zehn und mehr Pfunden mit hinauf in das oberste Schloß tragen muß. Dergleichen sieht man nun oben in guter Menge, und zeigen einige davon mit den eingegrabenen Anfangsbuchstaben die Namen dererjenigen an, welche sich besagte Bemühung gegeben haben. Rand links: Von der Lage der Mineralien und Stratorum. Niewentydt will an einem Orte seines vortrefflichen Werkes, in welchem er aus den Wirkungen der Natur beweiset, daß eine unendliche Gottheit seyn müsse, beobachtet haben, daß die Adern der Mineralien von Westen nach Osten sich ausbreiten, und absonderlich alle steile Abgründe oder præcipitia der Berge an der Abendseite seyn, da im Gegentheile auf der Ostseite die Gebirge nach und nach oder stuffenweise zu ihrer Höhe erwachsen. Von beyden Sätzen habe ich viele Ausnahmen bemerket; wider den letzten aber insbesondere auch die Lage des Berges und Felsen von Hohentwiel streitend gefunden, als welcher auf der Seite gegen Morgen von solcher Jähe ist, daß weder Menschen noch Vieh denselben besteigen können; da hingegen die Abendseite viel gemächlicher und auch für Fuhrwerk, wiewohl nicht ohne Mühe, brauchbar ist. Aus dieser Lagekömmt es auch, daß die außerordentliche Höhe des Berges mit den darauf befindlichen weitläuftigen Gebäuden auf jener Seite viel besser in die Augen fällt, als wenn man sie von Abend her ansiehet. Uebrigens hat Herzog Ulrich, im Jahre 1520, diese Festung in seinem exilio von einer Witwe von Klingenberg erkaufet; von welcher Zeit sie beständig beym herzoglichen Hause Würtemberg geblieben ist.

Fußnoten

1 Ein ähnlicher Regenbogen macht den Wasserfall an dem Verge Värenboden merkwürdig, von welchem Scheuchzer berichtet in itin. alpin. IIII. p. 185: Catadupæ huius pulcritudinem auxit iridis pulcherrimæ segmentum, quod per longum satis viæ spatium mire oculos nostros mentemque adfecit. Eben derselbe glückliche Naturforscher beschreibt eine andere Art von Regenbogen bey dem Wasserfalle in der Gegend von Plürs, woselbst das Wasser aus dem Berge Savon hundert Fuß hoch herunter schießt, und die umherliegende Ländereyen befeuchtet in itin. II. p. 107: Irrorantur continua hac adspergine vicina prædia, ct qui adstant homines, ab aqua in guttulas resoluta brevi madent. Ast omne incommodum, quod semit curiosus aqua perfusus, discutit tum catadupæ ipsius, tum iridis circularis et pulcerrimæ adspectus, cuius peripheriam ipse pedibus calcat. Aufrecht stehende Regenbogen in der Luft sind gemein, aber horizontale Regenbogen sind, gleichwie hier, etwas ausnehmend seltenes, und können von der Natur nur bey bemeldeten Umständen hervorgebracht werden. Noch merkwürdiger scheint es zu seyn, einen horizontalen Regenbogen auf einer nassen Wiesen zu sehen. Der churfürstl. brandenburgische Leibarzt Menzel, hat in Gesellschaft des D. Marchens dergleichen Seltenheit bey Potsdam im Jahre 1686, den 30sten Sept. betrachtet: Procedimus, schreibt derselbe, ambo ad locum, ubi iridem integram quaquaversum no, concomitantem in prati graminibus rore et araneolarum telis undique et dense obsitis perlustramus: erat hora nona matutina. Man besehe die Ephem. nat. cur. dec. II. a. 5. obs. 134.


2 Die Erfahrung bestätigetdiese Anmerkung. Es sind lebendige Zeugen vorhanden, welche den Blocksberg, diesen Gipfel der Harzgebirge, bey hellem Sonnenscheine und dauerhaft gutem Wetter zu eben der Zeit bestiegen haben, als über die untern Gegenden des Berges ein starkes Gewitter mit heftigem Donner und vielen Blitzen ergangen ist.


Quelle:
Johann Georg Keyßler. Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen. Theil 1. Hannover 1751, S. 8.
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